kolumne politisch inkorrekt Frauen haben andere Sorgen als Brüderle

Die Diskussion um den missglückten Flirtversuch eines aus der Zeit gerutschten Politikers ist ein Ärgernis. Denn sie lenkt vom realen und höchst bedrohlichen Alltags-Sexismus in diesem Land ab.

Entschuldigungen sind in Deutschland groß in Mode. Die katholische Kirche zum Beispiel soll sich dauernd bei irgendwem dafür entschuldigen, dass sie katholisch ist. Die FDP soll sich dafür entschuldigen, dass sie existiert. Und Rainer Brüderle soll sich dafür entschuldigen, dass er ein Mann mit 50er Jahre-Charme ist. Eine Glanzleistung war es nicht, wie er sich gegenüber der jungen Journalistin aufgeführt hat. Aber Sexismus? Ich denke, Herr Brüderle ist ein Mann, der zu Hause noch Witz-Schallplatten von Heinz Erhardt hört und nicht gemerkt hat, dass Tanzkarten und Schlüpfriges ein wenig, sagen wir, aus der Mode gekommen sind. Als Politiker sollte er sich besser im Griff haben.

Frau Himmelreich vom "Stern" hat veröffentlicht, was ihr gegen den Strich ging — ihr gutes Recht, auch wenn bis zum Artikel ein ganzes Jahr, unter anderem mit Brüderle-Terminen, verging. Die feministische Empörungs-Industrie reagierte sofort: der Mann als notgeiler Bock. Nicht mehr das, was ein Mann sagt und meint, sondern nur noch, wie eine Frau das empfindet, soll zählen. Wenn ich also demnächst einer Kollegin in den Mantel helfe und sie das als sexuellen Angriff empfindet, habe ich Pech gehabt.

Das Schlimme an dem ganzen Vorgang ist etwas anderes. Es gibt ja reichlich Alltags-Sexismus. Viele Frauen erleben das am Arbeitsplatz und im Privatleben, werden von Männern bedrängt und sexuell belästigt. Wie oft erleben Frauen in einer Straßenbahn obszöne Gesten und derbe Sprüche von Männern? Wie oft werden Mädchen in einer Disco von Horden junger Männer wie ein Stück Fleisch begrapscht? Wer wagt, auf die Verhältnisse in manchen Zuwandererfamilien hinzuweisen, wo Frauen gegen ihren Willen verheiratet werden und Männer entscheiden, ob und wann sie das Haus verlassen dürfen?

Die ganze Diskussion über Brüderle und Sexismus ist verlogen. Hier wird eine Lappalie zum Skandal aufgeblasen, um den Geschlechterkampf in Schwung zu bringen. Männer stehen unter Generalverdacht, und Frauen sind alle Opfer. In Günther Jauchs Talkshow sagte die streitbare Feministin Alice Schwarzer am Sonntag: "Männer sind auch Menschen."

Was für eine Chuzpe dieser Dame, die den jungen, selbstbewussten Frauen von heute so gar nichts mehr zu bieten hat. Als Jauch sie auf eine frühere Begegnung ansprach, bei der Schwarzer Jauchs Krawatte verbal mit einem Penis verglichen hatte, antwortete Schwarzer nicht. Das hätte der spannendste Moment der ganzen Sendung sein können.

Aber Schwarzer gab keine Erklärung, weshalb männlicher Sexismus schlimm und weiblicher lustig ist.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP/das)
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