Kolumne: Berliner Republik Beredte Unantastbarkeit
Düsseldorf · Warum die Grünen zurzeit die zarteste Versuchung in der Politik sind.
Es ist Jahre her, dass ich Robert Habeck das erste Mal persönlich begegnet bin. Der damalige Umweltminister Schleswig-Holsteins, damals noch mehr Literat als Politiker, ging auf eine Passage eines Stückes von mir ein, in dem ich SPD-Politiker Ralf Stegner mit dem besserwisserischen „Howie“ aus der Serie „Ein Colt für alle Fälle“ „verglichen hatte“.
Ich war geschmeichelt, wie Habeck diesen Vergleich erst lobend hervorhob, dann wieder kritisch hinterfragte. Er schaffte es, innerhalb von drei Sätzen einmal im Kreis zu argumentieren und gegen Ende des Gesagten das eingangs Gesagte komplett zu revidieren. Und hinterher waren trotzdem alle begeistert von seiner Beredsamkeit. Die Kunst der beredten Unantastbarkeit hat Habeck seither perfektioniert, weshalb er inzwischen die Beliebtheitsskala der deutschen Politiker anführt. Habeck und die zweite Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, dieses Pärchen ist die zarteste Versuchung, seit es Politik gibt.
Der Höhenflug der Grünen hat aber einen weiteren handfesten Grund. Sie haben sich über Jahrzehnte einem Thema gewidmet: dem Erhalt dieser Erde. Die Grünen vertreten dieses Thema mit großer Leidenschaft und Glaubwürdigkeit. Sie sind die stärkste Marke unter den Parteien. Der SPD ist sowohl ihr Markenkern als auch die Leidenschaft abhanden kommen. Ihre Leidenschaft scheint besonders darin zu bestehen, sich selbst Leiden zu schaffen. In die entstehende Lücke drängen die Grünen.
Der Aufschwung der Grünen wird nicht abebben. Weil die umweltbewussten Kinder (Phänomen „Greta“) als angehende Wähler als nachwachsende Rohstoffe für die Grünen angesehen werden können. Die richtige Ernte kommt wahrscheinlich noch.
Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des „Cicero“ und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor:
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