Jerusalem Knesset-Rede: Hatte Martin Schulz Recht?

Jerusalem · Wütend hatten Siedler den Saal des israelischen Parlaments Knesset verlassen. Die Rede von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz endete im Eklat. Doch trifft sein Vorwurf zu, Palästinenser hätten weniger Wasser zur Verfügung als Israelis?

Für Premierminister Benjamin Netanjahu ist klar: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat Israel grundlos und auf der Basis falscher Fakten angeklagt. Der Vorwurf, Israelis hätten mehr Wasser als Palästinenser im Westjordanland, treffe nicht zu. Doch wie steht es ums Wasser im Westjordanland?

Die Antworten sind komplex. Wer durch das von Israel besetzte Westjordanland reist, kann israelische Siedlungen und arabische Dörfer schon von weitem unterscheiden. Siedlungen sind voller Bäume und Blumen, während durch die löcherigen Gassen arabischer Ortschaften der Staub weht. Es steht außer Zweifel, dass aus palästinensischen Wasserhähnen weniger Wasser kommt als aus israelischen.

Die Gründe und das Ausmaß dafür sind umstritten. Es ist kaum möglich, den Pro-Kopf-Verbrauch in den besetzten Gebieten zu errechnen, da unklar ist, wie viele Palästinenser dort leben. Genau weiß das niemand, Schätzungen sind oft politisch motiviert. So wollen die Palästinenser rund eine Million mehr Bewohner im Westjordanland wissen als Anhänger der Siedler.

Und wie viel Wasser nutzen die Bewohner? Laut einer Studie der Weltbank aus dem Jahr 2009 standen Palästinensern 2007 rund 123 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung, weitaus mehr als die 17 Liter, von denen Schulz sprach. Auch die Uno-Organisation für humanitäre Angelegenheiten gab den palästinensischen Wasserverbrauch 2012 mit 70 Liter pro Kopf und Tag an. Israelis hatten laut beiden Berichten Zugang zu viermal mehr Wasser. Israels Wasserbehörde spricht hingegen von 95 000 Litern pro Jahr, die den Palästinensern 2009 im Schnitt zur Verfügung standen, Israelis verfügten nur über 1,44 Mal so viel.

Das Hauptproblem liegt außerhalb der großen Städte: 113 000 Palästinenser sind nicht ans Wassernetz angeschlossen, davon 50 000 in den von Israel kontrollierten Teilen des Westjordanlands. Hier nutzen Menschen in manchen Fällen nur etwa 20 Liter am Tag. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt ein Minimum von 100 Litern. Bei den ärmsten Haushalten machen die Kosten für Wasser bis zu 40 Prozent der Ausgaben aus.

Die Ursachen dieser Diskrepanz sind heiß umstritten. So weisen Israelis auf das marode palästinensische Wassernetz hin: Rund ein Drittel des Wassers versickerte ungenutzt. Israelis sind hingegen Weltmeister in der Wiederverwertung von Grauwasser, rund 80 Prozent jedes Liters Trinkwasser werden ein weiteres Mal genutzt. Zudem nutzt Israels Landwirtschaft Tröpfchentechnologie, während Palästinenser ihre Felder noch oft mit Trinkwasser bewässern. Bis vor wenigen Jahren zahlten Palästinenser zudem nichts für ihr Trinkwasser. Die Kosten wurden von Spendern getragen. So existierte nie der Anreiz, Wasser zu sparen.

Wasserdiebstahl ist in palästinensischen Gebieten weit verbreitet: Tausende illegale Anschlüsse ans Wassernetz führen dazu, dass am anderen Ende des Rohrs oft kein Wasser mehr fließt. Überdies ist der Lebensstandard in den Palästinensergebieten erheblich niedriger als in Israel – was ebenfalls zu einem geringeren Konsum beiträgt.

Israel erklärt, dass man Palästinensern viel mehr Wasser gebe als vereinbart. Das Abkommen von Oslo von 1995 regelt bislang die Verteilung dieser Ressource. Demnach kann Israel sich brüsten, den Palästinensern 70 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr zu geben, weitaus mehr als die 23,6 Millionen, zu denen es verpflichtet ist. Doch der Vertrag sollte nur fünf Jahre gelten, ein Folgeabkommen wurde nie ausgehandelt. So sind Israels Argumente nur die halbe Geschichte. Die Besatzung verhindert eine eigenständige Entwicklung des palästinensischen Wasserhaushalts. Palästinenser bemängeln, dass die Oslo-Verträge längst überholt sind, die Bevölkerung sei über die damaligen Schätzungen gewachsen. Zudem verhindere Israel die Instandhaltung und den Ausbau des bestehenden Wassernetzes.

Nur in einem Punkt herrscht Klarheit: Im Gaza-Streifen ist die Lage verheerend. Rund 90 Prozent des Wassers sind hier zum Trinken ungeeignet. Krankheitsfälle, verursacht durch verschmutztes Wasser, sind häufig geworden. Die WHO befürchtet, dass das gesamte Grundwasser bereits 2016 ungenießbar werden könnte.

(RP)
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