Kirchentag beschwört die "Dafür-Republik"

Dresden Nein, es hat sie nicht gegeben, die spontanen Massentaufen in der Elbe. Katrin Göring-Eckardt, Präsidentin des gestern beendeten Evangelischen Kirchentags in Dresden, hatte dieses Szenario scherzhaft ins Spiel gebracht, als sie darauf angesprochen wurde, dass der Kirchentag in einer Region stattfindet, wo nur jeder Vierte Kirchenmitglied ist. Doch auch wenn nicht getauft wurde, standen gestern, während des Kirchentags-Schlussgottesdienstes, Dutzende Menschen mit den Füßen im Elbwasser – um Abkühlung zu suchen.

Vom Podium unter dem Sonnendach am Ufer rief Göring-Eckardt den 120 000 Gläubigen zu, der Kirchentag sei "ein Fenster zum Himmel und eine Tür zur Welt" gewesen. Protestanten seien weder Wutbürger noch Gutmenschen, sondern Teil einer "Dafür-Republik" und "gute Bürger in Gottes Welt".

Bereits am Samstag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Dresden die Massen mobilisiert – vor 5000 Menschen sprach sie über den "Weg zu einer neuen Weltordnung". Applaus erhielt sie beim Thema Atomenergie für den Satz: "Ich sage ganz unbeschadet, ich habe meine Meinung geändert." Merkel wurde sogar beklatscht, als sie begründete, warum Flüchtlinge aus Tunesien wieder nach Afrika zurückgeschickt werden sollten.

Dresden war der bestbesuchte Evangelische Kirchentag seit Hamburg 1995. 118 000 Dauerteilnehmer zählte man, ein Drittel davon aus Ostdeutschland – unerwartet viel. Nikolaus Schneider, rheinischer Präses und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, sagte zum Abschluss, er habe zuvor angesichts des niedrigen Christen-Anteils in Sachsen Bedenken gehabt, "wie es wird". Die Lebendigkeit des Kirchentags habe Dresden aber "mitgerissen".

Viele Teilnehmer ließen sich aber auch umgekehrt von der sinnenfrohen Seite des barocken Lebensgefühls anstecken, das die Stadt atmet. Die Zahl der Besucher und die Tatsache, dass Dresden ein Kirchentag der kurzen Wege war, sorgte für eine selbst bei dieser Art von Großveranstaltung ungewöhnliche Verwandlung des Stadtbilds. Entsprechend optimistisch war der Ausblick: "Die Welt geht nicht einfach den Bach runter", sagte die Frankfurter Pfarrerin Ulrike Trautwein in ihrer Schlusspredigt.

Dresden hielt jene flüchtige Mischung aus kollektiver Einkehr, Genuss und Empörung bereit, die für viele erst das komplette Kirchentags-Erlebnis ausmacht. Es lag daher nahe, dass am Elbufer immer wieder Gefühle beschworen wurden – ausgehend vom Kirchentags-Motto "...da wird auch dein Herz sein", einem Satz Jesu aus der Bergpredigt. Die Herzen der Besucher gehörten dabei eindeutig einer Frau: Margot Käßmann. Zehntausende pilgerten zu ihren Auftritten.

Obwohl fast jeder zehnte Teilnehmer katholisch war, gingen bedeutende ökumenische Impulse von Dresden nicht aus. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, warnte vor übereilter Annäherung. Sonst würden die Konflikte in der katholischen Kirche weiter verschärft. Von einer "Herzensökumene" spricht Göring-Eckardt, womit auch gesagt ist, dass sich auf Amtsebene derzeit wenig tut. Im Herbst soll über einen möglichen dritten Ökumenischen Kirchentag beraten werden.

Kommendes Jahr treffen sich in Mannheim die Katholiken. Der nächste Evangelische Kirchentag ist für 2013 in Hamburg geplant.

Internet Bilder und Eindrücke aus Dresden unter www.rp-online.de/panorama

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort