Analyse Kirche empört über Zensur-Vorwurf

Bonn · Die katholischen Bischöfe kündigen verärgert den Vertrag mit dem Institut des Kriminologen Christian Pfeiffer zur Erforschung von Missbrauchs-Fällen. Bischof Stephan Ackermann: "Das Vertrauensverhältnis ist zerrüttet."

Die deutschen katholischen Bischöfe setzen sich im offenen Streit mit dem bekannten Kriminologen Christian Pfeiffer (Hannover) ungewohnt scharf zur Wehr. Nach Auskunft eines Rechtsbeistandes der Kirche wurde Pfeiffer gestern die Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung mit Strafandrohung zugestellt. Hintergrund ist der schwerwiegende Vorwurf Pfeiffers, die 27 deutschen katholischen Diözesen hätten versucht, bei dem von ihm und seinem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) betreuten Forschungsprojekt zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche beziehungsweise in kirchlichen Einrichtungen, Zensur auszuüben.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Bischöfe für Fragen sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich, bezeichnete das Verhältnis zwischen der Kirche und dem bisherigen Vertragspartner KFN, sprich Pfeiffer, als zerrüttet. Von einem Zerwürfnis mit Pfeiffer ist die Rede. Das heißt: Die Diözesen wollen und werden das Projekt so bald wie möglich fortführen, aber mit einem neuen Vertragspartner. Der zwischen Pfeiffers Institut und dem Verband Deutscher Diözesen (VDD) im Juli 2011 geschlossene Vertrag wurde deshalb seitens der Kirche mit sofortiger Wirkung gekündigt. Nicht verwendete Forschungsgelder sollen vom KFN zurückgefordert werden.

Ausschlaggebend für das harte Vorgehen der Kirche sind nach deren Version ausschließlich persönliche Gründe: Aus kirchlicher Sicht handelt es sich bei Pfeiffer um eine zuletzt unzuverlässig, sprunghaft, zudem extrem selbstgefällig und unberechenbar agierende Person. Ein Insider mit Kenntnis der Vertragsbeziehungen zu Pfeiffer formulierte gestern so hart wie salopp: "Der Mann redet Blödsinn, er hat seine Zeit hinter sich, weiß es aber leider nicht."

Bischof Ackermann drückte sich höflicher aus, aber ebenfalls unmissverständlich: "Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Direktor des Instituts und den deutschen Bischöfen ist zerrüttet. Vertrauen ist aber für ein so umfangreiches und sensibles Projekt unverzichtbar." Das Kommunikationsverhalten Professor Pfeiffers gegenüber den kirchlichen Verantwortungsträgern habe jeder weiteren Zusammenarbeit die Grundlage entzogen. Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, ergänzte dazu, die Bischöfe verwahrten sich ausdrücklich gegen den Vorwurf, sie hätten die Forschungsfreiheit einschränken wollen.

KFN-Chef Pfeiffer hingegen erklärte, dass die Kirche vor allem nach Einwänden der beiden süddeutschen (Erz-)Diözesen München-Freising und Regensburg die Ergebnisse des Forschungsprojekts habe reglementieren wollen. Er und sein Institut seien jedoch nicht bereit gewesen, sich einer Forschungszensur zu beugen. Letztlich habe es in der Kirche zu viele Widerstände gegen das Forschungsprojekt gegeben.

Pfeiffer spitzte seine Angriffe gegen die Kirche weiter zu, indem er von Hinweisen berichtete, wonach in einigen Diözesen Akten zu Missbrauchsfällen vernichtet worden seien. Dazu sagte Bischof Ackermann gegenüber dieser Zeitung, es handele sich um Polemiken und überflüssige Beschimpfungen: "Von einem renommierten Vertragspartner erwarten wir, dass er sich auch mit den kirchenrechtlichen Bedingungen vertraut macht." Das Kirchenrecht sehe anders als staatliches Recht bei strafrechtlich relevanten Sittlichkeitsdelikten die dauerhafte Aufbewahrung von Sachverhalt und Urteil vor. Es sei somit falsch und irreführend von Pfeiffer, den Eindruck zu erwecken, als gebe es eine vom Kirchenrecht geforderte Aktenvernichtung. Dem Vernehmen nach hatte der Wissenschaftler auf die Frage der Kirchenvertreter, wo es denn Aktenvernichtung gegeben habe, geantwortet, das wolle er nicht sagen.

Indirekte Unterstützung erhielt der prominente Kriminologe von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie sagte der "Süddeutschen Zeitung", die Bischöfe sollten den Vorwurf, sie behinderten durch Zensur und Kontrollwünsche eine unabhängige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, schnell aus der Welt schaffen. Die dramatischen Erschütterungen des Jahres 2010 dürften laut Justizministerin nicht in einer halbherzigen Aufarbeitung versickern. Die Stellungnahme der Liberalen – das zeigt die vergiftete Atmosphäre – wurde wiederum aus Kirchenkreisen bitterböse kommentiert: Auf die Stellungnahme dieser, der kirchenfeindlichen Humanistischen Union nahestehenden Persönlichkeit habe man natürlich gewartet. Nachdem Ende 2012 bereits eine von der Kirche bei Norbert Leygraf von der Uni Duisburg-Essen in Auftrag gegebene Analyse forensischer Gutachten in Missbrauchsfälle verstrickter Priester veröffentlicht worden war, sollte die Pfeiffer-Studie unter anderem zu Tage fördern: Wie und wo gingen die Missbrauchstäter gegen ihre Schutzbefohlenen vor? Wie reagierte die Kirche, als sie erstmals von Verdachtsfällen Kenntnis erhielt? Was lässt sich aus den Forschungsresultaten für die Abwendung solcher Delikte in Zukunft lernen?

Pfeiffers Institut sollte bis 2014 Täter- und Opferakten auswerten und mit diesem Personenkreis wissenschaftlich fundierte Interviews führen. Es sollten Akten aus allen 27 Diözesen ab dem Jahr 2000 und darüber hinaus in neun Diözesen Unterlagen ausgewertet werden, die bis ins Jahr 1945 datieren.

Der unversöhnliche Streit betrifft hauptsächlich unterschiedliche Auffassungen von Pfeiffers Institut KFN einerseits und der Diözesen andererseits über die Wahrung von Daten- und Persönlichkeitsschutz. Pfeiffers Forscher wollten und sollten die zu Interviews gebetenen Personen aus dem Täter- und Opferkreis anonymisieren. Die Tonbandaufzeichnungen sollten abgeschrieben und danach vernichtet werden. Angeblich wollte sie Pfeiffer aber dann doch fünf Jahre in seinem Institut aufbewahren, was aus Sicht der Kirche Persönlichkeitsschutz und notwendige Anonymisierung gefährdet hätte. Schließlich will die Kirche bereit gewesen sein, Pfeiffer einzuräumen, dass ausschließlich er Zugang zu einem Aktenschrank mit den Tonbandabschriften hat. Damit, so hieß es, sei Pfeiffer nicht einverstanden gewesen; er wünschte, dass auch einige seiner Instituts-Mitarbeiter Zugang bekommen sollten.

Bischof Ackermann stellte dazu klar: "Es ging um die Anonymisierung personenbezogener Daten, der Opfer- und Täterinterviews sowie notwendige Maßnahmen zur Verhinderung der De-Anonymisierung und der sicheren Aufbewahrung solch hochsensibler Unterlagen."

(RP)
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