Keine Entschädigung für Stalking-Opfer

Kassel Ihr Ex-Freund hatte der heute 60-Jährigen über Jahre nachgestellt, sie mit SMS, Briefen und Postkarten terrorisiert. Heute ist sie psychisch krank und kann nicht mehr als Sozialpädagogin arbeiten. Sie hat deshalb aber keinen Anspruch auf staatliche Entschädigung, urteilte das Bundessozialgericht in Kassel (Az.: B 9 VG 2/10 R).

Der Richterspruch, nach dem der Fall zur Prüfung an das Landessozialgericht Bremen/Niedersachsen zurückverwiesen wird, hat Signalwirkung für viele Betroffene in Deutschland. Zwischen 600 000 und 800 000 sind es laut Opferverbänden. Das Landessozialgericht hatte der Frau zuvor eine Entschädigung zugesprochen. Die Kasseler Richter beziehen sich nun mit ihrem Urteil auf das Gesetz zur Entschädigung von Opfern, wonach psychische Gewalt nicht ausreicht, um Ansprüche geltend zu machen. Stalking-Experte und Opferanwalt Volkmar von Pechstaedt bezeichnet die Kasseler Entscheidung als "einen Schlag ins Gesicht der Opfer". Sie bestätige die schlechte Gesetzeslage, die "schwammige Paragrafen" und wenig Opferschutz biete. Der Gesetzgeber habe es verschlafen, klare Regelungen zu schaffen. Es sei dringend geboten, psychische und physische Gewalt gleich zu beurteilen.

Auch für Ines Richlick, früheres Stalking-Opfer und Mitbetreiberin eines Hilfeforums, ist klar: "Stalking ist ein permanenter tätlicher Angriff auf die Seele." Die Gesundheit der Betroffenen leide dauerhaft unter der Verfolgung, die einer 24-stündigen "Dauer-Attacke" gleichkomme.

Erst seit 2007 ist Stalking überhaupt eine Straftat. Doch auch dieser Fortschritt ist unter Opferschützern umstritten. "Das Gesetz greift erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist", sagt Richlick. Das Opfer müsse zunächst eine schwere Beeinträchtigung der Lebensführung nachweisen, damit es zu einer Verurteilung kommt.

(RP)
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