London Katz-und-Maus-Spiel um Assange

London · Ecuador will dem Wikileaks-Gründer offenbar Asyl gewähren. Präsident Rafael Correa behauptet zwar, noch sei keine Entscheidung gefallen. Dies könnte Teil eines Verwirrspiels sein, denn es ist unklar, wie Assange unbehelligt aus der Botschaft Ecuadors in London herauskommen soll.

Schuldig oder nicht schuldig – das ist nicht die Frage. Das Problem, das zurzeit in London die Gemüter erregt, betrifft den möglichen Fluchtweg des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der sich seit dem 19. Juni im Botschaftsgebäude von Ecuador aufhält. Wie kann der von der Auslieferung nach Schweden bedrohte Australier zum 20 Kilometer entfernten Flughafen Heathrow und anschließend an Bord eines Flugzeugs nach Quito gelangen, ohne verhaftet zu werden? In einer Kiste? Im Kofferraum der Botschafter-Limousine? Mit Perücke und verkleidet? Zum unantastbaren Diplomaten ernannt?

Das Rätselraten erreichte gestern einen neuen Höhepunkt, als die Regierung des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa nach Medienberichten über den Asylantrag des 41-Jährigen entschied. Nach Informationen des seriösen "Guardian" will das kleine südamerikanische Land den "Staatsfeind Amerikas" aufnehmen.

Rafael Correa erklärte über den Kurznachrichtendienst Twitter, das Gerücht über Asyl für Assange sei falsch. Die Entscheidung sei noch nicht gefallen, er erwarte noch einen Bericht seines Außenministeriums. Anfang des Monats hatte Correa Christine Assange, die Mutter des Wikileaks-Gründers, in Quito im Präsidentenpalast zu einem Gespräch empfangen. Die offiziellen Fotos zeigen, wie der Präsident tröstend seine Hand auf die Hände der Mutter legt.

Der "Guardian" liegt deshalb vermutlich richtig, wenn er aus dem Umfeld des linksorientierten Präsidenten in Quito mit den Worten zitiert: "Ecuador wird Julian Assange Asyl gewähren. Wir sehen in seiner Arbeit Parallelen zu unserem Kampf für die nationale Souveränität und die Demokratisierung der internationalen Beziehungen." Der namentlich nicht genannte Regierungsmitarbeiter spricht von einer "humanitären Angelegenheit" und davon, dass noch vor Assanges Flucht in die diplomatische Vertretung ein Deal vereinbart worden sei.

Assange führt seit Ende 2010 einen erbitterten Kampf gegen seine Auslieferung nach Stockholm, wo ihm eine Anklage wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zweier Frauen droht. Der Wikileaks-Chef hätte Ende Juni nach Schweden abgeschoben werden sollen, nachdem er einen Prozess vor dem britischen Obersten Gerichtshof verloren hatte. Statt seine letzten Tage in einem lockeren Hausarrest zu genießen, fuhr er jedoch heimlich in die Botschaft Ecuadors in London, die unweit des Luxus-Kaufhauses Harrods liegt.

Assange wohnt dort, wie es heißt, in einem kleinen Zimmer mit Internetanschluss. Jenseits des exterritorialen Gebiets der Botschaft droht Assange die sofortige Festnahme, weil er gegen seine Arrestauflagen verstoßen hat. "Ob er Asyl erhält oder nicht, spielt für uns keine Rolle, weil wir einen gültigen Haftbefehl haben", bekräftigte eine Polizeiquelle gegenüber der "Daily Mail". Das Außenministerium ergänzte: "Großbritannien hat eine rechtliche Verpflichtung, Assange nach Schweden auszuliefern, und wir werden sie erfüllen."

Die Briten begründen ihre Haltung unter anderem mit dem Argument, dass sonst "jede Person mit rechtlichen Problemen" einfach Zuflucht in irgendeiner Botschaft suchen würde, um anschließend das Land zu verlassen.

Die Frage ist nun: Kann der Internet-Aktivist dennoch aus dem Katz-und-Maus-Spiel mit Scotland Yard als Sieger hervorgehen? Ja, sagen einige Experten – wenn Assange eine "kreative Lösung" fände. Weil eine Flucht im Diplomatenwagen oder versteckt im Diplomatengepäck spätestens am Flughafen mit einem Fehlschlag enden würde, vermutet der ehemalige Regierungsberater Carl Gardner, dass Ecuador Assange zu seinem Vertreter bei den Vereinten Nationen machen könnte: "Es klingt verrückt, aber er würde in diesem Fall unter dem Schutz der internationalen Gesetze stehen."

Internet Porträt von Julian Assange unter rp-online.de/digitales

(RP)
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