Analyse Katholische Protestanten

Düsseldorf · In Asien und Afrika, wo die Römische Weltkirche wächst, wird eine Studie aus Münster zur vatikanischen Familiensynode im Oktober erneut Kopfschütteln über einen anmaßenden theologischen Wilhelminismus auslösen.

Karl Kardinal Lehmann, der Bischof von Mainz, ist wahrlich ein Kirchenmann der Dialogbereitschaft, das Gegenteil eines schroff-gusseisernen Türstehers vor dem lehramtlichen Gebäude. Bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte Lehmann zusammen mit seinen damaligen Bischofsbrüdern Oskar Saier (Freiburg) und dem heutigen, emeritierten Kurienkardinal Walter Kasper (Stuttgart ) eine Initiative für mehr pastorale Barmherzigkeit der Kirche gegenüber solchen Männern und Frauen gestartet, die einst eine kirchliche Ehe geschlossen haben, sich später scheiden ließen und nach erneuter Heirat vergebens den Sakramentsempfang begehren. Das nicht im parteipolitischen, aber im kirchlichen Sinn liberale süddeutsche Gelehrten-Trio scheiterte, nicht zuletzt an Joseph Kardinal Ratzinger, der seinerzeit Kurienpräfekt für die Glaubenslehre war und von 2005 bis 2013 auf dem Stuhl Petri saß.

Aber der stets dialogbereite Lehmann hat seine Bereitschaft zum Gespräch, zur Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen immer verbunden mit Festigkeit in kirchlichen und theologischen Kernfragen. "State in fide", "Steht fest im Glauben" lautet sein Wappenspruch als Geistlicher. Das heißt für den Kardinal, der im nächsten Jahr 80 Jahre alt wird, auch, dass die Kirche sich nicht nach den Moden des gesellschaftlichen Zeitgeistes ausrichten darf. Täte sie das, verlöre sie Richtung und gäbe sie keinen genügenden Halt mehr. Laut Lehmann steht "nirgendwo in der Bibel geschrieben, die Kirche müsse stets in der Mehrheit sein".

Betrachtet man die jüngste weltweite Erkundung dessen, was 12 400 nicht repräsentativ befragte, praktizierende Katholiken aus 42 Ländern etwa zum kirchlichen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, homosexuellen Paaren, zum Frauen-Diakonat oder zur Ehelosigkeits-Pflicht katholischer Priester sagen, dann kommt zweierlei in den Sinn: zum einen Lehmanns Aussage, dass es nicht angehen könne, dass die Menschen in der Kirche bloße Befehlsempfänger sind, vielmehr mündige Subjekte und nicht Objekte der Seelsorge. Zum anderen dieser Satz des weltoffenen Kardinals in einem im Jahr 2000 erschienenen Herder-Gesprächsbuch mit Jürgen Hoeren: "Wir sollten heute besser erkennen, dass es in der pluralistischen Gesellschaft neben Gesprächsbereitschaft und Toleranz notwendig ist, dass man seinen eigenen, unverwechselbaren Standort markiert, dass man keine Angst hat, verschieden zu sein, dass man sich weder versteckt noch auf falsche Weise anpasst."

Liest man die aus Deutschland eingetroffenen Antworten auf die 26 Fragen der aktuellen, wissenschaftlichen Studie der Universität Münster, ließe sich - zugegeben mit einer Prise Polemik - schlussfolgern, deutsche Katholiken wähnten ihre Kirche erst dann auf der Höhe der Zeit, wenn jene protestantisch geworden ist. Man merkt: In dem Land, von dem vor einem halben Jahrtausend Martin Luthers Reformations-Bewegung ausging, scheint man Ökumene so zu verstehen, dass es am besten sei, wenn alle Katzen grau sind, die Unterschiede verwischen oder ganz verschwinden.

Im Einzelnen zur Studie, die von drei Studentinnen und Studenten aus Münster und Berlin erstellt wurde: 70 Prozent der deutschen Teilnehmer (knapp 7900 von 12 400 insgesamt) sprechen sich für die sogenannte Homo-Ehe, das heißt, auch für die kirchliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partner aus. In Polen, Südeuropa und Brasilien ist hingegen eine Mehrheit der Befragten gegen den kirchlichen Segen für homosexuelle Paare.

Und weiter: Mehr als 85 Prozent der Befragten in Deutschland votieren für die Wahlmöglichkeit von Priestern zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform. In Polen und Südeuropa bietet sich auch dazu ein konträres Bild; dort wird der Pflichtzölibat mehrheitlich befürwortet. Ähnliche Länder-Unterschiede gelten für die in der Weltkirche umstrittene Frage, ob Frauen zum Diakonat zugelassen werden sollen: 87 Prozent der deutschen Katholiken sagen "Ja", so viele wie sonst nirgendwo.

Lediglich beim Thema "Zulassung wiederverheirateter Geschiedener" zu den Sakramenten, etwa dem Kommunion-Empfang, sind sich die Katholiken aller 42 Länder einig: Knapp 90 Prozent plädieren dafür, dass Rom seine bisherige Lehre dazu ändert, sprich: aufgibt. Interessant wiederum sind die Differenzen zwischen Deutschland einerseits und etwa den USA, Polen, Südeuropa und Brasilien andererseits zum Zusammenleben vor der Ehe: In Deutschland gibt es ein 80-Prozent-Votum für die Ehe auf Probe, in den anderen genannten Ländern sind die Ja- und Nein-Stimmen gleich groß.

In Afrika und Asien, wo die katholische Kirche teilweise stark wächst, schüttelt man nicht nur, aber auch mit Blick auf die große vatikanische Familiensynode im Oktober oft die Köpfe über die deutsch-katholischen Eigenarten. Man empfindet sie als Ausdruck intellektueller Anmaßung eines theologischen Wilhelminismus, so als solle am deutschen katholischen Wesen die Römische Weltkirche genesen. Es ist ja wahr, dass die deutschen Katholiken nur etwa zwei Prozent der katholischen Weltbevölkerung repräsentieren. Stellte man sich die Römische Weltkirche mit rund 1,2 Milliarden Mitgliedern als ein Kraftfahrzeug vor, entspräche der deutsche Anteil vielleicht einem Rad. Man sollte sich also hierzulande vor dem Übermut hüten, als verkörpere man zusätzlich Zündkerzen, Zündschlüssel oder sitze gar hinterm Steuer. Im Übrigen: Wenn Berlin hupt, zucken weder Rio noch gar Rom zusammen.

Zum Schluss noch ein auffallendes Studien-Resultat: 90 Prozent der befragten deutschen Katholiken ist eine kirchliche Hochzeit wichtig, gar 95 Prozent eine christliche Erziehung.

(mc)
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