Rom Kanzlerin und Papst verstehen sich

Rom · Vier Monate vor der Wahl nutzen der Kanzlerin die Bilder vom herzlichen Einvernehmen mit dem obersten Katholiken.

Die Sonne schien über Rom, Angela Merkel strahlte, und Papst Franziskus hatte Gefallen an dem hohen Gast aus Germania. Die evangelische Pfarrerstochter aus dem in Teilen heidnischen Berlin und der lebhaft gestikulierende Pontifex vom "Ende der Welt" – sie scheinen einen guten Draht zueinander zu haben. Beim Wiedersehen im Vatikan nach der ersten, auch bereits herzlich ausgefallenen Begegnung im Petersdom anlässlich der Amtseinführung des Petrusnachfolgers aus Argentinien am 19. März war zu spüren, was der Dichter Hölderlin so ausdrückte: "Lass die Welt ihren Gang gehen, wenn er nicht aufgehalten werden kann, wir geh'n den unsern."

Apropos Hölderlin: Franziskus mag nicht der brillant gelehrsame Büchermensch und Homme de Lettres sein wie sein Vorgänger, eine Liebe zur Kultur, besonders zum deutschen Musik-Titanen Beethoven und dessen Zeitgenossen, eben jenem Friedrich Hölderlin, ist bekannt, seit am denkwürdigen Abend des 13. März aus Kardinal Bergoglio Papst Fraziskus wurde.

Merkel hatte ihr Gastgeschenk mit Bedacht gewählt: eine antiquarische Hölderlin-Ausgabe von 1905 mit Goldschnitt sowie 107 CDs mit dem Gesamtwerk des Dirigenten Wilhelm Furtwängler, dessen Klassik-Interpretationen Franziskus besonders schätzt.

Der Beschenkte zeigte sich hocherfreut und ungekünstelt obendrein: "Sie wissen, was ich mag." Die Audienz fand in der Bibliothek des prunkvollen Apostolischen Palastes statt. Dorthin ist der Papst immer noch nicht zum Arbeiten, Essen und Ruhen umgezogen; er wohnt nach wie vor unter einem Dach mit Geistlichen aus aller Herren Länder im vatikanischen Gästehaus Sancta Martha. Die Audienz dauerte – man hätte vorher darauf wetten können bei den beiden – länger als protokollarisch üblich: 50 Minuten. Erzbischof Georg Gänswein, der als Privatsekretär an der Seite des nunmehr emeritierten Papstes Benedikt ist, als Präfekt des Päpstlichen Hauses jedoch auch dem neuen Herrn in Weiß zu dienen hat, beobachtete die Begrüßung zwischen Merkel und Franziskus aus nächster Nähe. Gänswein weiß, dass es so herzlich zwischen dem deutschen Papst und der deutschen Kanzlerin nie zugegangen war. In acht Jahren waren sich Merkel und Benedikt nie im Vatikan begegnet, allerdings einmal 2006 in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo und zwei Mal während der Deutschland-Visite Benedikts 2011. 2009 hatte die Protestantin Merkel den Vatikan und Teile des deutschen Katholizismus mit einer als deplatziert und überflüssig empfundenen Ermahnung verstimmt, sie erwarte vom Papst eine "sehr eindeutige" Erklärung gegen die Leugnung des Holocausts. Das Dumme war, dass Benedikt nicht nur über jeden Zweifel erhaben war, sondern eben diese klare Stellungnahme wenige Tage vor Merkels Rüffel noch einmal öffentlich abgegeben hatte.

Alles vergessen und vorbei beim Rencontre mit Franziskus. Der hatte sogar mit dem vatikanischen Brauch gebrochen, einem Spitzenpolitiker wenige Monate vor einer für diesen wichtigen Wahl nicht womöglich werbend zu Hilfe zu kommen. Denn eins steht fest:

Die Bilder von der Kanzlerin, die im September wiedergewählt werden will, und dem begabten Menschenfischer auf dem Stuhl Petri nutzen Merkel; während ihr Herausforderer Peer Steinbrück nicht darauf zählen darf, dass die Fotos, die ihn am Donnerstag mit dem schwachen französischen Präsidenten und Leipziger SPD-Gratulanten Hollande zeigen werden, außer eingefleischten Sozialisten irgendjemanden beeindrucken werden.

Als ausgefuchste Politikerin weiß Merkel, dass sie Nachholbedarf hat in der Demonstration von Sympathie mit der katholischen Kirche und ihrem ersten Repräsentanten. Die CDU-Chefin steht seit Jahren im Ruf, dass es sie nie besonders bekümmert hat, dass das wiedervereinigte Deutschland norddeutscher, östlicher und protestantischer geworden ist. Nun lobt sie Franziskus' Humor, menschliche Wärme und Einfachheit sowie die Übereinstimmung mit ihm beim Ja zu einer sozialen Marktwirtschaft, die für die Menschen da ist und nicht für Finanzmarkt-Akrobaten.

(RP)
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