Analyse Kanada - das bessere Amerika

Vancouver · Politisch steht die kanadische Regierung den europäischen Verbündeten derzeit weit näher als den USA. Sie muss aber Rücksicht auf den mächtigen Nachbarn nehmen. Ein Balanceakt zwischen neuen Ambitionen und Vorsicht.

Tagelang schwelgte Kanada in seinen Nationalfarben weiß und rot: Am 1. Juli beging das nordamerikanische Land den 150. Jahrestag seiner Staatsgründung - und das wurde äußerst ausgiebig gefeiert. Fast eine halbe Milliarde Dollar investierte die Regierung in die Feierlichkeiten. In Partys, Konzerte, Shows, Feuerwerke, aber auch in neue Infrastrukturprojekte wie Museen, Gemeindehallen oder Sportplätze.

Das zweitgrößte Land der Erde will sich zum Jubiläum von seiner besten Seite zeigen und sich nebenbei mit neuen Ambitionen auf der Weltbühne zurückmelden. Als das bessere und sympathischere Nordamerika, als Land mit einem eigenständigen, weltoffenen und liberalen Profil, ganz besonders auch in Zeiten, in denen beim südlichen Nachbarn in den USA Präsident Donald Trump genau das Gegenteil verkörpert.

Weniger Waffen, weniger Morde, eine viel breitere Gesundheitsversorgung und diese unfassbar grandiose Natur - gerade aus europäischer Perspektive fällt es tatsächlich leicht, Kanada irgendwie als die bessere Version der Vereinigten Staaten zu sehen. Als heilere, friedlichere und gelassenere Variante der oft so verworrenen und widersprüchlichen Weltmacht USA.

Für Kanada ist es dagegen ein delikater Balanceakt. Einerseits will die liberale Regierung von Premierminister Justin Trudeau ihre Unabhängigkeit von US-Präsident Donald Trump beweisen. Andererseits hat sie kein Interesse daran, den mächtigen Nachbarn im Süden allzu sehr in die Isolation zu treiben. Zu eng sind die wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bande zwischen beiden nordamerikanischen Ländern. Und zu übermächtig scheint der von der Bevölkerung her neunmal größere Nachbar USA.

Kein Zweifel besteht, dass die meisten Kanadier mit der derzeitigen US-Politik nur wenig anfangen können. Und auch Premier Trudeau steht in vielen Fragen den europäischen Verbündeten erheblich näher als den USA. So befürwortet er den Klimapakt von Paris, aus dem Trump austreten will. Er wirbt für den Freihandel, dem Trump skeptisch gegenübersteht. Er vertritt eine liberale Zuwanderungspolitik, während die USA Bürgern aus muslimischen Ländern die Einreise verweigern und eine Mauer zu Mexiko bauen wollen.

In einer viel beachteten Grundsatzrede im Unterhaus in Ottawa hatte Außenministerin Chrystia Freeland nur wenige Wochen vor dem 150. Jubiläum die Außenpolitik Kanadas strategisch neu ausgerichtet - und sich dabei demonstrativ von den USA abgesetzt. Angesichts der zunehmend isolationistischen Politik Trumps setzt Kanada auf einen eigenständigeren Kurs und will sich wieder stärker an internationale Organisationen und Gremien wie die Nato, die Vereinten Nationen oder die G 20 anlehnen.

"Die Tatsache, dass unser Freund und Alliierter den Wert seiner eigenen weltweiten Führung in Frage stellt, zwingt uns und alle anderen, auf einen eigenen souveränen Kurs zu setzen", hatte Freeland damals erklärt. Nur einen Tag darauf kündigte die Regierung zudem eine massive Aufstockung der Verteidigungsausgaben an. Diese sollen in den nächsten zehn Jahren um satte 70 Prozent steigen.

In Kanada vertritt man nämlich ähnlich wie auch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Einschätzung, dass man sich im Falle eines Falles nicht mehr komplett auf den Schutzschirm der Amerikaner verlassen könne. Das polternde Auftreten Trumps beim diesjährigen Nato- und G 7-Gipfel sowie der sang- und klanglose Ausstieg Washingtons aus dem Klimaschutzabkommen von Paris hat auch in Ottawa die Alarmglocken schrillen lassen.

Trotzem wird Trudeau versuchen müssen, nicht alle Brücken zu Trump abzureißen. Kanada wickelt schließlich rund zwei Drittel seines Außenhandels mit den USA ab, die Kanadier teilen mit den Amerikanern die mit 9000 Kilometern längste Landgrenze der Welt und sind trotz der politischen Entfremdung auf ein funktionierendes Verhältnis zu Washington angewiesen. Das gilt insbesondere mit Blick auf das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta, das auf Druck aus den USA demnächst neu verhandelt werden soll.

Für Schlagzeilen sorgten Berichte, wonach Trudeau den USA auf dem G 20-Gipfel in Hamburg angeblich mit einem verwässerten Bekenntnis beim Thema Klimaschutz entgegenkommen wollte. Richtig ist, dass der angekündigte Austritt der Amerikaner aus dem Paris-Vertrag die Kanadier mächtig unter Druck setzt, da die kanadische Industrie erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber der US-Konkurrenz befürchten muss. In Ottawa wurden die Gerüchte allerdings schon vor dem Gipfel scharf dementiert. "Wir werden den Vertrag von Paris weiter umsetzen, und wir stehen vereint mit all jenen Ländern, die den Vertrag unterstützen", erklärte eine Sprecherin Freelands.

Als Kanada am 1. Juli 1867 als eigenständiger Staat ausgerufen wurde, war es den Gründungsvätern angesichts der schwindenden Weltmachtrolle Großbritanniens nicht zuletzt auch darum gegangen, auf dem nordamerikanischen Kontinent ein Gegengewicht zu den erstarkenden USA zu schaffen. 150 Jahre später versucht das Land, wieder einmal aus dem Schatten des übermächtigen Nachbarn zu treten. Dazu verfolgt Kanada mit Blick auf die USA eine Strategie der Beschwichtigung. Wo immer es geht, versucht die kanadische Regierung, Trump zu ignorieren und arbeitet stattdessen direkt mit US-Bundesstaaten, Städten und Wirtschaftsvertretern zusammen. "Keiner macht das so intelligent wie Trudeau", lobt die Stanford-Professorin und Washington-Insiderin Kori Schake. "Von dieser Strategie kann auch die deutsche Regierung noch etwas lernen."

(RP)
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