"Kampfzonen zwischen Union und Grünen verschwinden"

Interview Tübingens OB Boris Palmer (Grüne) zu den angekündigten Steuersenkungen, der Energiewende und der inneren Sicherheit

Herr Palmer, was halten Sie von den Steuersenkungs-Plänen der Regierung?

Palmer Die kleinen Einkommen sollten entlastet werden, aber das gelingt nicht über die Steuer, weil Sie als Familie mit kleinem Einkommen keine Steuern zahlen.

Und Entlastung der mittleren Einkommen?

Palmer Die sollte auch sein. Das Problem ist, dass auch die größeren Einkommen entlastet würden, wenn man es über die Steuer versucht.

Das wollen Sie nicht?

Palmer Die starken Schultern müssen mehr tragen als die schwachen. Das ist Konsens in Deutschland. Richtiger als Steuersenkungen wären gezielte Entlastungen bei den zu hohen Sozialversicherungs-Beiträgen.

Sie haben früher mit schwarz-grünen Koalitionen sympathisiert. Sind die weiterhin interessant?

Palmer Ich sehe eine Umbruch-Situation: Einerseits wird Rot-Grün oder Grün-Rot stärker und wahrscheinlicher. Andererseits verändern sich CDU und CSU so erstaunlich und radikal, dass immer mehr Kampfzonen zwischen Union und Grünen verschwinden. Die Hürden für Schwarz-Grün werden niedriger.

Halten Sie Merkels Energiewende für glaubhaft?

Palmer Als Physikerin der Macht probiert sie vieles aus und lässt fallen, was nicht funktioniert. Merkel hat in den vergangenen Jahren schon viel Gegensätzliches jeweils leidenschaftlich vertreten. Aber Respekt verdient ihr Energie-Schwenk doch, weil er gegen große Widerstände in der Union durchgesetzt wurde.

Atomkraftbefürworter befürchten, dass im Herbst vor allem im Süden des Landes öfter das Licht ausgeht. Ist das Panikmache?

Palmer Wenn die Lichter ausgehen, dann hat die grüne Politik ein Glaubwürdigkeits-Problem. Wir brauchen jetzt ein grünes Gesetz für den Neubau von Regelkraftwerken. Wir Grünen dürfen nicht allein über den Atomausstieg reden. Auch Versorgungssicherheit, Erhalt der stromintensiven Industrie und bezahlbare Energiepreise für die Stromverbraucher müssen uns wichtig sein.

Sie gelten als energischer Kritiker, was den Hang der SPD zum Geldausgeben angeht. Richtig?

Palmer Meine Erfahrung in der Opposition im Landtag war: Bei der SPD darf's immer noch'n bisschen mehr sein. Man sieht das auch in NRW: Die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf ist erstaunlich erfolgreich, aber es ist nicht gerade ihr Markenzeichen, die Staatsfinanzen zu sanieren. Das ginge im Schwäbischen nicht. Grün-Rot in Stuttgart muss finanziell solide sein.

Warum folgt die Partei nicht, wenn Sie mehr innere Sicherheit verlangen?

Palmer Das ist historisch erklärbar. Die Grünen wurden auch gegründet, um Bürgerrechte in einer ziemlich autoritären Republik zu erkämpfen. Und zwar erfolgreich. Recht und Ordnung zu wahren, gegen Verwahrlosung des öffentlichen Raumes einzuschreiten – das ist heute auch für Grüne und deren Wähler etwas sehr Wichtiges. Die Partei tut sich noch schwer damit, das anzuerkennen. Wir setzen zu sehr auf den Schutz des Bürgers vor dem Staat und tun zu wenig für den Schutz des Bürgers durch den Staat.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort