Kiew Kampf um Donezk fordert Dutzende Tote

Kiew · Nur zwei Tage nach der Präsidentenwahl in der Ukraine haben sich die Kämpfe im Osten des Landes erneut verschärft.

In Donezk sind Schusswechsel und Explosionen zu hören, Kampfflugzeuge kreisen über der Stadt. Angesichts der zunehmenden Gewalt in Donezk zogen ARD und ZDF gestern Abend ihre Teams aus der Stadt ab. In der Ost-Ukraine kämpft die ukrainische Armee gegen prorussische Separatisten. Allein in der Gegend um Donezk starben gestern mindestens 45 Menschen. 31 Verletzte wurden in den Krankenhäusern der Stadt behandelt.

Den ukrainischen Regierungstruppen gelang es nach eigenen Angaben, den von prorussischen Separatisten besetzten Flughafen von Donezk wieder zurückzuerobern. "Der Flughafen ist vollständig unter Kontrolle. Der Gegner musste schwere Verluste hinnehmen. Wir haben keine Verluste", meldete der ukrainische Innenminister Arsen Awakow in Kiew.

Am Montag hatten die Regierungstruppen eine Offensive gegen die prorussischen Aufständischen gestartet, die den Flughafen besetzt hatten. Bodentruppen wurden dabei von Kampfjets, Militärhubschraubern und Fallschirmjägern unterstützt.

Nach Berichten ukrainischer Journalisten gelang es den Regierungstruppen, die Separatisten von einer strategisch wichtigen Brücke zurück ins Stadtzentrum zu drängen. In der Industriemetropole fuhren zwar noch Busse und Straßenbahnen. Es waren aber kaum Menschen auf den Straßen zu sehen. Auch die großen Einkaufszentren waren geschlossen - ebenso wie das Fußballstadion "Donbass Arena", das dem "Paten von Donezk", dem Oligarchen Rinat Achmetow, gehört. Am Morgen war ein Eishockey-Stadion von Separatisten in Brand gesetzt worden.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat in der Region um Donezk den Kontakt zu einer Beobachtergruppe verloren. Das vierköpfige Team sei vermutlich auf einer routinemäßigen Patrouillenfahrt bei Donezk gestoppt worden, sagte eine Sprecherin der Organisation. Es handelt sich um Staatsbürger der Schweiz, Estlands, Dänemarks und der Türkei. Erst Ende April waren internationale Militärbeobachter, darunter vier Deutsche, von Separatisten in Slawjansk tagelang als Geiseln gehalten worden. Derzeit sind 283 OSZE-Mitarbeiter in der Ukraine im Einsatz.

Unterdessen verbreiteten russische Medien die Nachricht, die Stadtverwaltung von Donezk erwäge wegen bevorstehender Angriffe die Evakuierung der Bevölkerung. Die ukrainische Präsidialverwaltung dementierte das als Propaganda: "Berichte darüber, dass Angriffe der Luftwaffe oder der schweren Artillerie auf Städte bevorstehen, sind eine Provokation mit dem Ziel, Panik unter der Bevölkerung von Donezk zu säen", sagte der Sprecher von Übergangspräsident Alexandr Turtschinow.

Es gibt viele Anzeichen dafür, dass die Separatisten aktive Hilfe von Russland erhalten. Ukrainische Medien meldeten unter Berufung auf Behörden in Donezk, unter den getöteten Kämpfern seien Männer aus Grosny und Gudermes in Tschetschenien. In der Region um die ebenfalls von Separatisten besetzte Stadt Lugansk drang gestern früh ein Lastwagen-Konvoi mit bewaffneten Männern von der russischen Grenze auf ukrainisches Territorium vor. Nach Angaben des ukrainischen Grenzschutzes gelang es den Grenzern nur, einen Teil des Konvois zu stoppen. Das Außenministerium in Kiew protestierte in Moskau dagegen, dass die russischen Grenzschützer die Bewaffneten tatenlos passieren ließen.

Am Sonntag hatte die Ukraine den proeuropäischen Unternehmer Petro Poroschenko (48) zum neuen Präsidenten gewählt. Er soll Anfang Juni vereidigt werden. Poroschenko kündigte ein härteres Vorgehen der Armee gegen die Aufständischen an. Angesichts der wieder aufgeflammten Kämpfe in der Ost-Ukraine verschärft sich auch erneut der Ton zwischen Kiew und Moskau, der unmittelbar nach der Wahl etwas entspannter geworden war.

Kremlchef Wladimir Putin forderte in einem Telefongespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, die ukrainische Führung müsse ihre "Strafexpedition" im Osten des Landes sofort stoppen. Außenminister Sergej Lawrow hob hervor, ein Besuch des neuen ukrainischen Präsidenten sei in Moskau kein Thema: "Weder auf diplomatischen noch auf irgendwelchen anderen Kanälen ist eine Visite von Poroschenko in Russland angedacht oder vorgesehen."

Sollte das designierte ukrainische Staatsoberhaupt aber den Dialog mit den Bewohnern des Ostens aufnehmen wollen, werde er "in Gestalt Russlands einen ernsthaften und verlässlichen Teilnehmer fnden", sagte Lawrow. Poroschenko hatte nach seiner Wahl gesagt, er könne sich einen Besuch in Moskau Mitte Juni gut vorstellen.

(RP)
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