Kaczynski liegt vorn

Im Rennen um die polnische Präsidentschaft zeichnet sich eine Wende ab: Unmittelbar vor der morgigen Stichwahl führt in Umfragen erstmals der nationalkonservative Jaroslaw Kaczynski.

Moskau Den Beratern von Jaroslaw Kaczynski (61) scheint ein Wunder gelungen zu sein. Aus dem notorischen Scharfmacher und Streithammel formten sie in diesem kurzen Wahlkampf einen milde auftretenden Mann des Ausgleichs. Der tragische Tod seines Zwillingsbruders Lech, der am 10. April bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk ums Leben kam, soll Jaroslaw geläutert haben. So jedenfalls geht die Legende.

Nach seinem gelungenen Auftritt bei dem TV-Duell führt Kaczynski erstmals bei einer Umfrage. Wie die Meinungsforscher von GfK Polonia herausfanden, wollen 49 Prozent für ihn stimmen, für Komorowski 47 Prozent. Vor einer Woche hatte Komorowski noch mit 53 Prozent die Nase vorn, Kaczynski folgte mit 43 Prozent.

Bei der zweiten Fernsehdebatte der beiden Präsidentschaftsbewerber wurde Jaroslaws neu entdeckte Sanftmut einem harten Test unterzogen. Denn sein Widersacher Bronislaw Komorowski (58) rührte an ein Tabu. Er sei ein unabhängiger Kandidat, sagte der Liberale, von ihm werde man nach der Wahl nicht den Satz hören: "Herr Parteivorsitzender, ich melde: Auftrag ausgeführt!" Das war eine spöttische Anspielung auf Lech Kaczynski. Der hatte 2005 mit diesen militärisch-gehorsamen Worten seinen Wahlsieg dem Zwillingsbruder Jaroslaw rapportiert – und sich damit noch vor dem Amtsantritt lächerlich gemacht.

Doch jetzt ist Lech Kaczynski tot, und öffentliche Kritik an ihm zählt in Polen nicht zum guten Stil. Besonders nicht in einer Debatte mit Jaroslaw Kaczynski, der das Erbe seines Bruders antreten will. "Bitte lassen Sie die Toten aus dem Spiel, das ist nicht schön und einfach nicht fair", rief Kaczynski seinen Widersacher vorsichtig zur Ordnung. Und hatte diese Runde gewonnen.

Es war nicht das einzige Mal in diesem TV-Duell, dass Bronislaw Komorowski danebengriff. "Ich bin Vater von fünf Kindern, ich weiß, wie man gerecht teilt", brüstete er sich in der Diskussion um Wirtschaftspolitik. Komorowkis penetrante Anspielungen darauf, dass Kaczynski Junggeselle ist, gehen den Polen mittlerweile auf die Nerven. "Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Familie", konterte der in Trauer gekleidete Kaczynski leise. Und ging zum Gegenangriff über. "Vielleicht sind Sie zuhause gerecht, aber gegenüber der Gesellschaft sind Sie ein Liberaler." Ein verdutzter Komorowski musste sich anhören, gegen welche Gesetzesvorhaben er als Abgeordneter alles gestimmt habe: gegen die Subventionierung von Schulmilch, gegen höhere Lehrergehälter, gegen einen größeren Etat für polnische Waisenheime. Das saß. Eine entscheidende Rolle bei der Stichwahl könnten die Wähler des postkommunistischen Kandidaten Grzegorz Napieralski spielen. Der Parteichef der linken SLD, der in der ersten Runde 13,7 Prozent holte, will weder eine Empfehlung für Komorowski noch für Kaczynski abgeben. Die Linke hat Schnittmengen sowohl mit der Wählerschaft der liberalen PO, der Komorowski angehört, als auch mit Kaczynskis national-konservativer PiS. In gesellschaftlich-moralischen Fragen, etwa der in Polen umstrittenen In-Vitro-Befruchtung oder der Anerkennung homosexueller Partnerschaften, steht sie der PO nahe. Wirtschaftspolitisch gibt es mehr Übereinstimmungen zwischen SLD und PiS.

Umfragen zufolge wollen die meisten linken Wähler für Komorowski stimmen. Doch auch Jaroslaw Kaczynski, früher ein flammender Antikommunist, wirbt um die Stimmen aus dem Lager der Linken. Er versprach sogar, künftig SLD-Mitglieder nicht mehr Postkommunisten zu nennen. Sondern nur noch "Linke".

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