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Kabul Kabuls Richter machen ernst im Kampf gegen Korruption

Kabul · Hemmungslose Selbstbedienung torpediert den Staatsaufbau in Afghanistan. Jetzt geht es erstmals den Mächtigen an den Kragen.

200.000 Dollar Schmiergeld verlangte der Polizei-General aus dem afghanischen Innenministerium von der amerikanischen Firma, die sich für einen Großvertrag beworben hatte. Es ging um Diesel für Polizeifahrzeuge, eigentlich ein lukratives Geschäft - bis der General mit seiner Forderung kam. Die Firma wandte sich an ein neues Gericht im Land, das Zentrum für Anti-Korruptions-Gerechtigkeit (ACJC) in Kabul. Wenige Tage später nahmen dessen Ermittler den General fest, mit Regieanweisungen wie aus dem Kino-Thriller.

"Wir haben einen Kollegen, der aussieht wie ein Geschäftsmann, schön fett", berichtet ACJC-Chef Mohammed Alif Urfani. Der Mann trat also als Vertreter der amerikanischen Firma auf und sagte, er sei mit dem Schmiergeld einverstanden. Bei einem zweiten Treffen hatte er zehn Bündel mit je 20.000 Dollar dabei. Bei der Übergabe machte der General sogar das Licht aus, weil er fürchtete, gefilmt zu werden, "aber der Kollege hatte ein Abhörgerät dabei, und als der General im Halbdunkeln laut anfing zu zählen, sind wir rein und haben ihn mit dem Geld erwischt", sagt Urfani. Der General bekam zwölf Jahre Haft.

Das Antikorruptions-Zentrum ist seit rund neun Monaten aktiv. Schon am Eingang wird deutlich: Dieses Gericht legt sich mit den Mächtigen an. Mit Generälen, die Soldatengehälter einsacken, oder Ministern, die Millionen veruntreuen. Besucher des ACJC müssen durch vier Sicherheitsposten hindurch und lange Laufwege in Kauf nehmen, die absichtlich labyrinthartig angelegt sind. Waffen lagern in Vorzimmern, denn in den Richterbüros sind sie nicht erlaubt. Im April wurden zwei Mitarbeiter auf offener Straße erschossen. In jeder Verhandlung sind Soldaten dabei, weil die machtgewohnten Angeklagten manchmal ausrasten, wenn das Gericht sie schuldig spricht.

Bis zur Gründung des Gerichts hat Afghanistan seine Eliten nur selten zur Rechenschaft gezogen. Noch 2016 stand das Land auf dem Korruptionsindex von Transparency International auf Rang 169 von 176. Korruption gilt als Haupthindernis für den Staatsaufbau. Dass Beamte "Schukranas", ein "Dankeschön", verlangen, schließt viele Afghanen von Dienstleistungen aus und untergräbt ihr Vertrauen in den Staat massiv. Korruption hilft auch den Taliban. Die Islamisten, die den Staat bekämpfen, kaufen Waffen, Treibstoff und Essen mitunter direkt von korrupten Armee-Kommandeuren. Milliarden, die für die Entwicklungshilfe bestimmt waren, sind spurlos verschwunden.

Kurz nachdem Präsident Aschraf Ghani das Gericht per Dekret geschaffen hatte, wurde es noch als "das Geber-Gericht" bespöttelt - als Fassade, um den Ärger der internationalen Gemeinschaft zu beschwichtigen. Doch das ist vorbei. Seit Dezember hat die Kammer mehr als 40 hohe Beamte, Generäle und Geschäftsleute in knapp 20 Fällen verurteilt. So wurde erst kürzlich einer der reichsten Unternehmer des Landes mit neun Jahren Haft und einer Rückzahlungsforderung von 38 Millionen Dollar bestraft. Abdul Ghaffar Dawi, Chef eines Ölkonzerns und anderer Firmen und verheiratet mit der afghanischen Botschafterin in Norwegen, hatte unter anderem 16 Millionen Dollar mit gefälschten Papieren von der Kabul Bank geliehen, aber nie zurückgezahlt.

"Da ist jetzt endlich ein politischer Wille in der Regierungsspitze", sagt Sajed Musafar Schah, Chef des Unabhängigen Komitees für die Überwachung von Antikorruptionsinitiativen. Dieser Wille zeigt sich auch in einer zentralen Stelle, die Präsident Ghani geschaffen hat, um millionenschwere Staatsverträge korruptionsfrei zu halten, oder in neuen Verfahren zur Besetzung von Beamtenposten, die in Afghanistan oft gegen Geld oder an Verwandte vergeben werden. Die Armee hat auf den politischen Druck hin in den vergangenen Monaten Hunderte Offiziere wegen Korruptionsverdachts geschasst.

Aber das aber sei nur ein Anfang, sagt Schah. Angesichts des Ausmaßes von Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch bis in die dörflichen Strukturen brauche es Jahre, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Das ACJC müsse weiter wachsen, sagt Schah. Vor allem müsse es schnell Untergerichte in den Provinzen eröffnen. Gerichtschef Urfani hat eine Liste von mehr als 120 Personen, die bald eine Anklage zu erwarten haben. Aber längst nicht auf jede Klage folgt eine Verurteilung. So wie im Fall eines ehemaligen Vize-Ministers, der für umgerechnet 37.000 Euro Feuerholz für Schulen gekauft haben will - ohne Ausschreibung oder Vertrag. Der Ankläger war sicher, dass gemauschelt wurde, nur beweisen konnte er es nicht. Das Holz ist verbrannt, und es gab nicht genug Ermittler, um Beweise zu sichern.

(dpa)
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