Analyse Junge CDU begehrt gegen Merkel auf

Berlin · Während sich die Fraktionsspitzen von Union und SPD zur Klausurtagung in Königswinter treffen, macht sich eine wachsende Gruppe von jungen CDU-Politikern Gedanken um die Zukunft der Partei. Die Kanzlerin ist verärgert.

 Jens Spahn ist Initiator der Rebellion der Jungen in der CDU.

Jens Spahn ist Initiator der Rebellion der Jungen in der CDU.

Foto: dpa

Die Harmonie ist zurück in der großen Koalition. Am Wochenende hatte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann 150 Gäste zu einer privaten Feier anlässlich seines 60. Geburtstags in seine Heimatstadt Göttingen eingeladen. Unter den Gästen war auch Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). Bei den Genossen wurde Kauders Besuch als Zeichen der Wertschätzung aufgenommen. Eine offizielle Rede hielt er nicht. Oppermann und Kauder stehen offen dazu, dass sie anders als der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck und Kauder keine Freunde sind, aber einander vertrauen. Als Geschenk hatte Kauder eine CD-Sammlung der Berliner Philharmoniker dabei. Seit gestern sitzen die Spitzen der Fraktionen zur Klausur im beschaulichen Königswinter zusammen.

Doch während in der großen Koalition die Töne wieder harmonischer werden, zeigt sich eine Gruppe junger CDU-Abgeordneter um den Sozialpolitiker Jens Spahn nervös über die Ausgaben-Politik der großen Koalition. In einem Zehn-Punkte-Papier, das unserer Zeitung vorliegt, mahnen die jungen Politiker unter anderem eine konsequente Haushaltskonsolidierung, Vorsorge für die alternde Gesellschaft und längere Lebensarbeitszeiten an. Die Rente ab 63, die gerade von der großen Koalition aufs Gleis gebracht wurde, nennen sie "das völlig falsche Signal".

Rebellion der Jungen

Das Rentenpaket gilt als offene Flanke der Koalition. Während über die Ausweitung der Mütterrente Konsens in der großen Koalition herrscht, gibt es gegen die Rente ab 63 Jahre in der Union zahlreiche Kritiker. Mit ihrer Haltung sind die Jungen in dieser Frage also nicht allein. Allein rund 60 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag haben mit einem Nein zum Rentenpaket gedroht, sollte es nicht noch zu einer klaren Beschränkung der Rente ab 63 kommen.

Die Rebellion der Jungen, die sich auf etliche Themenfelder erstreckt, wird in der CDU mit gemischten Reaktionen aufgenommen. "Dass sich die Jungen in der Partei kümmern, ist gut", sagte CDU-Vizechef Armin Laschet unserer Zeitung. Die Kanzlerin soll sich hingegen über den Vorstoß der Jungen in der Präsidiumssitzung gestern verärgert geäußert haben, wie mehrere Teilnehmer berichteten. Demnach äußerte sich Merkel allerdings nicht inhaltlich zu dem Papier, sondern kritisierte den Zeitpunkt kurz vor der Europawahl als "nicht hilfreich". Aus ihrer Sicht hätte die "Gruppe 2017", wie sich die jungen CDU-Politiker nennen, bis zur Bundestagswahl 2017 noch genug Zeit, sich Gedanken um das Profil der Partei zu machen.

Initiator Jens Spahn nimmt die Kritik gelassen. "Mein Eindruck ist, dass eine konstruktive inhaltliche Debatte in der CDU durchaus gewünscht ist", sagte Spahn unserer Zeitung. "Solche Debatten tun dem Profil der Partei gut." Zu dem Kreis stießen "ständig neue Mitglieder" hinzu, betonte Spahn. Mittlerweile seien es mehr als 70 Abgeordnete aus Bund und Land. "Auch am Wochenende gab es weitere Interessenten. Es wächst die Lust, einfach mal wieder mit Tiefgang sechs Stunden inhaltlich zu diskutieren."

Das Papier der Gruppe ist überschrieben mit "Das Richtige tun. Für eine Agenda 2020". Mit dem Titel verweisen die jungen CDU-Politiker bewusst auf die frühere Agenda 2010, mit der die Regierung von Gerhard Schröder die großen Arbeitsmarktreformen in Gang setzte, die als eine wichtige Grundlage für die heutige gute ökonomische Lage des Landes gelten.

Ähnliche Kritik wie Schröder oder Müntefering

Für die Kanzlerin ist das Vorgehen ihrer jungen Parteifreunde eine Provokation. Denn bislang waren es vor allem ihre Kritiker in anderen Parteien, die ihr vorgeworfen haben, dass sie zwar von den Folgen von Schröders Agenda 2010 profitiere, selbst aber keine oder zu wenige notwendige Reformen angehe. Mit dem Bezug zur Agenda 2010 im Titel des Papiers macht sich die "Gruppe 2017" diese Kritik indirekt zu eigen. Interessant ist auch, dass einige Altvordere der SPD wie Ex-Kanzler Schröder und Ex-Parteichef Franz Müntefering die Rente ab 63 ähnlich kritisch sehen wie die jungen CDU-Politiker.

Die jungen Parteirebellen in der CDU mahnen zudem, dass das Versprechen von "keinen neuen Schulden" an die jüngere Generation eingehalten werden könne, wenn sich alle mit "immer neuen Forderungen" zurückhielten. Sie fordern, dass weniger Sozialleistungen ausgebaut und dafür mehr in Schienen, Straßen, Breitband und Universitäten investiert werden müsse. Angesichts der rasch alternden Gesellschaft verlangen sie nicht nur, den geplanten Kapitalstock in der Pflegeversicherung umzusetzen, sondern auch eine verpflichtende private Zusatzvorsorge bei der Rente für alle. Zugleich wollen sie weg von starren Altersgrenzen für den Ruhestand und einen flexiblen Renteneintritt je nach Bedürfnis der Arbeitnehmer einführen. Zuwanderung in den Arbeitsmarkt würden sie gerne über ein Punktesystem steuern. Und den Kritikern eines transatlantischen Freihandelsabkommens halten sie Verzagtheit vor.

Unterdessen beraten die Fraktionsspitzen von Union und SPD in ihrer Klausur über ihre Agenda bis 2017. Im Mittelpunkt wird aus aktuellem Anlass die Ukraine-Krise stehen. Gestern hatten die Parlamentarier den Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, eingeladen. Heute treffen sie mit Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und dem künftigen DGB-Chef Reiner Hoffmann zusammen. Themen sollen auch die in der Koalition noch umstrittenen Gesetze zum Mindestlohn und zur Rentenreform sein. So sollen beispielsweise Modelle diskutiert werden, wie künftig Menschen, die über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus erwerbstätig sein wollen, dies auch tun können. Mit einer Einigung auf Details ist nach Angaben von Teilnehmern heute aber nicht zu rechnen. Ein weiteres Thema ist die Sterbehilfe.

(qua)
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