Analyse "Jung und schön" - ist das sexistisch?

Pro und contra "Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön", sagte ein Ex-Botschafter zur Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Die Top-Beamtin der Bundeshauptstadt hält das für Sexismus.

Ja sagt Kirsten Bialdiga

Eine Staatssekretärin soll auf einer Konferenz eine Rede halten. Eigentlich eine alltägliche Situation. Bevor sie aber beginnen kann, sagt der männliche Vorsitzende der Deutsch-Indischen Gesellschaft auf dem Podium: "Die Staatssekretärin ist noch nicht da. Ich würde sagen, wir fangen mit den Reden dennoch an." Chebli antwortet aus der ersten Reihe: "Die Staatssekretärin ist da und sitzt vor Ihnen." Der Vorsitzende habe geantwortet: "Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön." So erinnert sich die Staatssekretärin Sawsan Chebli an die Situation, wie sie auf Facebook schildert.

Die Äußerung des Botschafters a.D. Hans-Joachim Kiderlen ist sexistisch. In einer Situation, in der es um einen Konferenzbeitrag, also um Inhalte und Intellekt geht, stellt der männliche Sprecher ein Persönlichkeitsmerkmal, eine bloße Äußerlichkeit, in den Mittelpunkt, die nichts zur Sache tut. Und er schwingt sich auch noch zu einem Urteil darüber auf. Nebenbei offenbart er seine Vorurteile und tut kund, wie er sich eine Staatssekretärin vorstellt: nicht jung, nicht schön. Dass sich der Vorsitzende seiner eigenen Version zufolge bei der Begrüßung lediglich erfreut darüber gezeigt haben soll, dass "eine so junge und schöne Frau als Vertreter des Regierenden Bürgermeisters spricht", unterstreicht noch, dass der Botschafter a.D. kein Problembewusstsein hat.

Sexismus ist definiert als eine "auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung". Dass die Äußerung des ehemaligen Botschafters diskriminierend war, lässt sich daher auch anhand eines Experiments verdeutlichen: Hätte der Botschafter sich nicht auf das Geschlecht Cheblis und auf ihr Alter bezogen, sondern etwa auf die ethnische Herkunft als Persönlichkeitsmerkmal, hätte der Satz so gelautet: "Ich habe keinen Palästinenser erwartet. Und dann sind Sie auch so schön." In dem Fall würde es den meisten - zu Recht - leicht fallen, eine solche Äußerung klar zu verurteilen.

Noch etwas: Der Vorsitzende setzte Chebli nicht nur durch seine Äußerung herab. Offenkundig hatte er nicht für notwendig gehalten, sich vor Beginn der Diskussion über einen seiner wichtigsten Gäste zu informieren. Sonst hätte ihm auffallen müssen, dass Chebli bereits vor ihm saß.

Nein sagt Antje Höning

Sexismus am Arbeitsplatz ist kein Kavaliersdelikt. Herrenwitze, Nacktfotos, körperliche Übergriffe — jede zweite Frau ist schon sexuell belästigt worden. Was das ist, definiert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz: "Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird." Damit sind nicht nur körperliche, sondern auch verbale Übergriffe gemeint.

Aber hat der frühere Botschafter Hans-Joachim Kiderlen die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli tatsächlich verbal belästigt? Bei einer Tagung hatte er die Politikerin übersehen und dann versucht, seinen Lapsus mit einem Kompliment zu überspielen. "Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch so schön." Was daran ist eine Belästigung? Dass Staatssekretäre in der Mehrzahl alte Männer sind, ist bedauerlich, macht Kiderlens Erstaunen aber nachvollziehbar.

Chebli jedoch reagierte bei Facebook empört: "Ich war so geschockt und bin es immer noch." Lassen Sie die Kirche im Dorf, möchte man ihr zurufen. Seit wann ist ein allgemeines Kompliment ein Übergriff? (Das war bei FDP-Politiker Rainer Brüderle, der einer Journalistin einst sagte, sie könne ein Dirndl gut ausfüllen, wegen des sexuellen Bezugs anders.)

Die Debatte führt nur zum verkrampften Umgang. Frauen, die überall eine Macho-Verschwörung wittern, und Männer, die sich von erfolgreichen Frauen verfolgt fühlen, machen das Zusammenleben anstrengend. Vor lauter Gender Correctness traut sich keiner mehr, dem anderen die Tür aufzuhalten — könnte ja Diskriminierung sein.

Schlimmer noch: Mit ihrer Empörung über nichts setzt Chebli die wahren Opfer von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch herab. Sie relativiert das Leid dieser Frauen, indem sie ihre eigene Empörung inszeniert. (Zur Inszenierung gehört, dass sie schreibt, sie habe ihre Rede frei gehalten, während die Veranstalterin erklärt, Chebli habe die Rede abgelesen und ihrerseits eine Frau übersehen.) Cheblis Satz "Ich erlebe immer wieder Sexismus, aber so etwas wie heute habe auch ich noch nicht erlebt" muss in den Ohren einer vergewaltigten Frau wie Hohn klingen. Der Sache der Frauen hat die Politikerin einen schlechten Dienst erwiesen.

(RP)
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