Budapest Jüdischer Weltkongress kritisiert Ungarn scharf

Budapest · Wenn am Sonntag die Vollversammlung des Jüdischen Weltkongresses (WJC) in Budapest eröffnet wird, dürfen sich das Gastgeberland Ungarn und sein rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orban alles andere als geschmeichelt fühlen: Der WJC tagt erstmals in einem ehemaligen Ostblockstaat und nicht – wie üblich – in Jerusalem, um "ein starkes Zeichen" gegen den grassierenden Antisemitismus in Ungarn zu setzen.

WJC-Präsident Ronald S. Lauder klagt: "Ungarn – das Land, in dem die drittgrößte jüdische Gemeinde der Europäischen Union beheimatet ist – befindet sich auf einem gefährlichen Irrweg." Etwa 100 000 der knapp zehn Millionen Einwohner haben jüdische Wurzeln."

Lauder sagt, seit dem Amtsantritt von Orban sei die Zahl antisemitischer oder Roma-feindlicher Äußerungen dramatisch gestiegen. Der Soziologe Andras Kovacs kann Lauders Vorwürfe untermauern: Gaben 1993 noch 14 Prozent der befragten Ungarn an, Juden als unsympathisch zu empfinden, so taten dies 2010 bereits 28 Prozent. Im selben Jahr schaffte die offen gegen Juden und Roma hetzende neue Partei Jobbik ("Die Besseren") mit 17 Prozent den Einzug ins Parlament.

Gegenüber Jobbik steuert Orbans seit 2010 mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierende Partei Fidesz einen undurchsichtigen Kurs. Einerseits stellte sie sich mit der Einführung eines Holocaust-Gedenktags den Leugnern von Jobbik entgegen, andererseits ließ sie tagelang eine im Parlament von einem Jobbik-Abgeordneten vorgetragene Forderung nach "Judenlisten" unkommentiert.

Orban wird beim Eröffnungsdinner der WJC-Tagung sprechen. Der Chef der Staatskanzlei, Janos Lazar, hat angekündigt, dass sich der Ministerpräsdent klar von Antisemitismus und Rechtsextremismus abgrenzen wolle. Orban werde sich aber auch "ganz entschieden" dagegen verwahren, dass seine Regierung und die Ungarn insgesamt als Antisemiten abgestempelt würden. Dem "Tagesspiegel" sagte der WJC-Präsident, er halte Orban nicht für einen Antisemiten. Es gebe aber in Ungarn und auch in der Regierungspartei "genügend Judenfeinde, die offen hetzen, ohne dass ihnen Grenzen aufgezeigt werden".

(RP)
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