Analyse Luthers langer Schatten

Magdeburg · Der große Reformator war in seinen späten Jahren auch ein großer Judenfeind. Das ist in der evangelischen Kirche unbestritten. Was aber daraus folgt, zum Beispiel für die Judenmission, damit tun sich die Protestanten schwer.

 "Von der Juden und ihren Lügen" schrieb Martin Luther im Jahr 1543.

"Von der Juden und ihren Lügen" schrieb Martin Luther im Jahr 1543.

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Es ist eine späte Einsicht. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will künftig keine Juden mehr missionieren. Das zumindest will das derzeit in Magdeburg tagende Kirchenparlament der EKD, die Synode, in den nächsten Tagen beschließen. Und damit kurz vor dem 500. Jubiläum der Reformation einen Stein umherwälzen, der bislang als schweres Hindernis auf dem steinigen Pfad der christlich-jüdischen Beziehungen lag. Der aber nun droht, im Gegenzug auf den nicht minder steinigen Pfad der Beziehungen zwischen der EKD und ihrem konservativen Flügel, den Pietisten und Evangelikalen, zu fallen und dort ein neues Hindernis zu bilden.

Luthers Antijudaismus ist im 21. Jahrhundert nicht mehr zu tolerieren

In den Blick der EKD geraten war der Stein vor einem Jahr, als die Synode in Bremen tagte. Dort hatte sich das Kirchenparlament zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder etwas intensiver mit dem Verhältnis von Christen und Juden beschäftigt. Denn das Reformationsjubiläum rückte näher und mit ihm die Erkenntnis, dass sich in den Schriften Martin Luthers neben der für jeden Christen zentralen Frage "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" auch manche Dinge finden, die im Spätmittelalter zwar zum Ton der Zeit gehörten, aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts aber nicht mehr zu tolerieren sind.

Und dazu gehört in erster Linie die notorische Judenfeindschaft des Reformators: "Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams", schrieb Luther beispielsweise in seinen Tischreden. An anderer Stelle nannte er die Juden gar "junge Teufel", die zu vertreiben und auszurotten seien.

Dass Luther mit solchen Zitaten zu einem der Wegbereiter des modernen Antisemitismus wurde, der dann zur Judenverfolgung und den Massenmorden des Nationalsozialismus führte, ist in der Rückschau schwer von der Hand zu weisen. Tatsächlich hat sich die EKD in den vergangenen Jahren intensiv mit der Judenfeindschaft Luthers beschäftigt. Insbesondere die Reformationsbotschafterin und frühere Ratsvorsitzende Margot Käßmann schien zuweilen kein anderes Thema mehr zu kennen.

Die Judenmission ist eine drängende Frage im jüdisch-christlichen Dialog

Trotzdem war es nicht nur notwendig, sondern vor allem höchst überfällig, dass sich auch das Kirchenparlament der EKD im vergangenen Jahr von Luthers Antisemitismus distanzierte. Doch die letzte Konsequenz hat man gescheut. Da war es am Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, Deutschlands evangelische Christen an ein weiteres Desiderat zu erinnern: die Frage der Mission unter Juden.

Denn gerade im konservativen, evangelikalen Spektrum des Protestantismus gibt es bis heute eine Reihe von Missionswerken, die gezielt unter den aus Russland nach Deutschland gekommenen jüdischen Kontingentflüchtlingen um neue Kirchenmitglieder werben.

Eine klare Aussage dazu hat die EKD bislang gescheut — auch um im eigenen frommen Lager nicht für Verärgerung zu sorgen. Denn in der württembergischen Landeskirche zum Beispiel finden sich durchaus Kräfte, die die Mission unter Juden unterstützen — etwa, indem an sogenannte messianische Juden gespendet wird. Diese Gruppen bezeichnen sich selbst als "Juden, die an Jesus glauben": Dabei handelt es sich um Gemeinden, deren Mitglieder aus dem Judentum stammen, die von Form und Inhalt her aber eher christlichen Freikirchen gleichen. Und die an den Rändern der jüdischen Gemeinden nach Kräften um neue Mitglieder werben.

Die Erklärung, die dem Kirchenparlament der EKD seit gestern Abend vorliegt, ist zumindest an dieser Stelle eindeutig. Sie bezieht sich auf eines der wesentlichen Ergebnisse des nach den Verbrechen der Shoah entstandenen christlich-jüdischen Dialogs, wenn sie festhält, dass Juden einen eigenen Weg zum Heil haben und somit eine Bekehrung zum christlichen Glauben nicht mehr nötig ist.

"Christen sind nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen", heißt es darum in dem Text: "Ein christliches Glaubenszeugnis, das darauf zielt, Juden zum Glauben an Jesus als Christus zu bekehren, widerspricht dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels." Schärfere Formulierungen, etwa Aussagen wie "widerspricht Schrift und Bekenntnis unserer Kirche", finden sich allerdings nicht in der Synodenvorlage — möglich, dass das die Brücke ist, über die auch der konservative Teil der Kirche mitgenommen werden soll. Schließlich muss ja nicht jedes Glaubenszeugnis am Ende sofort auf Bekehrung zielen.

Muslimische Taufbewerber stehen vor Kirchentüren Schlage

In jedem Fall wird sich das evangelische Kirchenparlament aber einmal mehr mit seinem Verständnis von Mission und Mitgliederwerbung auseinandersetzen müssen. Denn während sich die Synode der Evangelischen Kirche mit der höchst überfälligen Ablehnung der Judenmission beschäftigt, stehen muslimische Taufbewerber vor den Kirchentüren Schlange. Statt allerdings dem absurden Beispiel der rheinischen Kirche zu folgen, die in der ihr zuweilen eigenen, überbordenden politischen Korrektheit gleich ganz auf jede Mission unter Muslimen verzichten will, sollte sich die EKD hier vielleicht eher an der Lutherischen Kirche Norwegens orientieren.

Deren Bischöfin Helga Haugland Byfuglien nämlich berichtete ebenfalls auf der Tagung in Magdeburg von einer Erklärung, in der man gemeinsam mit den islamischen Verbänden des skandinavischen Königreichs festgehalten hatte, dass man den Übertritt von Christen zum Islam und von Muslimen zum Christentum wechselseitig akzeptiert. Und auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland gilt ja weiterhin, dass zur Religionsfreiheit auch das Recht auf Konversion gehört.

(RP)
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