Gastbeitrag Judenhass bekämpft man nicht nebenbei

Das Verbot der Neonazi-Gruppe „Combat18“ durch Bundesinnenminister Horst Seehofer ist ein Schritt in die richtige Richtung. Beim Kampf gegen den Antisemitismus verdient er die Unterstützung aller.

 Die Neonazi-Gruppe wurde von Bundesinnenminister Horst Seehofer verboten.

Die Neonazi-Gruppe wurde von Bundesinnenminister Horst Seehofer verboten.

Foto: AP/Heribert Proepper

Der Antisemitismus ist auch im Jahr 2020, 75 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur, eine akute Bedrohung. Nicht nur für uns Juden, die wir ihn fast täglich hautnah erleben, sondern für die gesamte Gesellschaft und das friedliche Miteinander. Er muss deshalb zu unmittelbaren politischen und gesellschaftlichen Reaktionen führen.

Die erste Reaktion auf Antisemitismus ist notgedrungen meist eine Symbolische. Die Gesellschaft und ihre Repräsentanten antworten mit lauter und vernehmlicher Zurückweisung. Es ist gut, wenn Politikerinnen und Politiker, namhafte Menschen aus Kultur, Politik, Sport und anderen Bereichen der Gesellschaft Stellung beziehen oder, wie man neuerdings sagt, Haltung zeigen. Es ist deshalb wichtig, weil es vielen anderen klar macht: Hier passiert etwas, das für uns alle gefährlich ist. Und weil es den Menschenhassern klar macht: Ihr seid nicht die Tonangebenden in dieser Gesellschaft. Gerade in dieser Woche, rund um den Holocaust-Gedenktag, freuen wir uns über diesen Rückhalt.

Entscheidend ist allerdings, aus dieser ersten Reaktion auch in die Aktion, in die Offensive zu kommen. Und hier fehlt es vielerorts noch. Jemand, der dies verstanden hat und aktiv wurde, ist Bundesinnenminister Horst Seehofer. In dieser Woche hat er die Neonazi-Vereinigung „Combat18“ verboten. Ein Verein, tief durchzogen vom Hass auf alles Fremde, dessen Mitglieder mit Nazi-Symbolen und Waffen hantieren, die gewalttätig und zudem noch international vernetzt sind. Prompt treten Kritiker auf den Plan, die das „zu spät“ finden oder sich Erklärungen abmühen, was man hätte besser machen können. Für mich ist entscheidend: Er hat es gemacht. Er verbindet Reden und Handeln.

Vor Rechtsterrorismus und Antisemitismus warnt Seehofer schon lange. In Yad Vashem sprach er 2012 als Bundesratspräsident davon, dass man dort herausgeführt werde „aus der heilen Welt in die Brutalität, in die bestialische Zeit“. Er weiß, dass die Gefährdungen der demokratischen Grundlagen sich nicht im Frieden und Wohlstand unserer Tage verflüchtigt haben. Sondern dass sie uns tagein, tagaus begleiten. Und dass man jeden Tag bereit sein muss, sich dagegen zu verteidigen, auch im eigenen Umfeld.

Im vergangenen Jahr ließ Seehofer nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle alles stehen und liegen und fuhr zum Ort des Geschehens. Aber er hat es nicht bei dieser wichtigen Symbolik belassen, sondern ist zum Handeln übergegangen. Nach Halle hat er umgehend einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt und damit wesentliche Maßnahmen angestoßen, wie zum Beispiel verstärkten Schutz rund um Synagogen. Bei den Bundesländern hat er sich damit nicht nur Freunde gemacht, weil dies einiges an zusätzlichem Geld kosten wird. Man fragt sich, warum die Länder nicht früher selbst auf diese Idee gekommen sind.

Aber daran kann man auch erkennen: Der Kampf gegen Antisemitismus ist kein Wahlgeschenk, das man einer großen Gruppe von Menschen macht, und das dann viele Stimmen bringt. Im Gegenteil. Mit seiner Forderung, die Gamer-Szene besser in den Blick zu nehmen, weil Gaming-Plattformen auch von Rechtsradikalen genutzt werden, hat Seehofer die Internetgemeinde gegen sich aufgebracht. So ist es oft, wenn man Antisemitismus bekämpfen will. Wen es konkret wird, will keiner vor seiner Haustür kehren. Aber die Internetspezialisten und Influencer, die sich über den Innenminister echauffieren, übersehen eines. Der Antisemitismus steckt in der Mitte der Gesellschaft, er steckt in Vielen und er steckt hinter Vielem. Die elegant formulierten Lobpreisungen der Sozialen Medien als verbindendes Instrument einer neuen Generation sind nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte lautet: Antisemiten nutzen genau diese Medien sehr geschickt für ihre Zwecke. Sie propagieren hier ihre Ideologie und rekrutieren hier ihre Follower. Die vielbeschworenen Selbstreinigungskräfte versagen. Das darf man nicht übersehen, und doch wollen es viele übersehen.

Ein weiterer wesentlicher Ansatz ist die Meldepflicht für Hass und Hetze im Netz. Sie kann helfen, endlich die Radikalisierung und den Übergang zur Gewalt in den Griff zu kriegen. Denn auch das ist ein Umstand, der viel zu lange ignoriert wurde: Alle rechtsextremen und antisemitischen Täter haben im Netz ihren Hass präsentiert und intensiviert. Es ist nur folgerichtig, dass der Bundesinnenminister in seinen eigenen Behörden zusätzliche Stellen schafft, so etwa für den Aufbau spezialisierter Einheiten beim BKA und beim Verfassungsschutz. Antisemitismus bekämpft man nicht nebenbei. Dies muss ein Schwerpunkt sein, und das erfordert mehr Professionalität und Ressourcen.

Noch bedeutsamer scheint mir aber eine andere Initiative von Seehofer. Erstmals hat er bei einem Innenministertreffen der sechs größten EU-Länder die Bekämpfung des Antisemitismus zum Schwerpunkt gemacht. Auch das hat nicht allen gefallen. Der Schandfleck des Antisemitismus wird in vielen Ländern lieber geleugnet als bekämpft. Doch gerade die zunehmende internationale Vernetzung von Rechtsextremisten sowie die grenzenlose Freiheit des Internets verlangen danach, dass die Sicherheitsbehörden nachziehen und sich vergleichbar koordinieren. Auch hier kann man „Combat18“ als Beispiel anführen: Die Organisation ist in mehr als 30 Ländern aktiv.

Wenn am Montag der Internationale Holocaust-Gedenktag begangen wird, dann werden wir das notwendige und berechtigte „Nie wieder“ in allen Reden hören. Minister Seehofer hat bereits in Halle klar formuliert: „Es ist unsere verdammte Pflicht, das ‚Nie Wieder‘ in den Mittelpunkt unseres Handelns zu stellen“. Bei seinen Maßnahmen verdient er die Unterstützung aller.

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