Berlin Juden sehen Tradition bedroht

Berlin · Einmischung in uralte Traditionen, unzureichend, falsch – der Vorstoß des Landes Berlin, die religiös motivierte Beschneidung von muslimischen und jüdischen Jungen rechtlich abzusichern, stößt auf zum Teil heftige Kritik. Das jüdische Gemeindeparlament äußerte sich bestürzt über die Absicht, den Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen straffrei zu stellen. Dies sei "eine flagrante Einmischung in die über 3000 Jahre alten Traditionen des Judentums", hieß es von Seiten der Gemeinde.

Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, begrüßte das Berliner Modell hingegen als Signal zugunsten der Religionsfreiheit. "Aber die konkrete Zwischenlösung hilft uns nicht weiter", sagte er der "Frankfurter Rundschau". Die jüdischen Beschneider (Mohalim) könnten demnach zwar beschneiden, müssten sich aber einer Einzelfallprüfung und möglicherweise einem Ermittlungsverfahren unterziehen.

Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) zeigte sich gesprächsbereit. Gleichzeitig stellte er klar, dass sich die Regelung nicht auf Mohalim beziehen könne. "Die Frage, ob und wie Mohalim beschneiden dürfen, kann nur ein Bundesgesetz oder die Rechtsprechung beantworten." Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) versicherte, "die entstandene Rechtsunsicherheit wird durch eine bundesgesetzliche Regelung schnell beseitigt werden".

In einer Antwort an Israels Präsidenten Schimon Peres sprach sich Bundespräsident Joachim Gauck für einen Schutz jüdischer Traditionen aus. Ihm liege viel daran, dass die Lebens- und Glaubenswelt der Juden in Deutschland geschützt werde, sagte Gaucks Sprecherin Ferdos Forudastan.

Peres hatte Gauck gebeten, sich für das Recht auf Beschneidung – die Entfernung der Penis-Vorhaut – aus religiösen Gründen einzusetzen. "Die Brit Milah (Beschneidung) ist ein jüdisches Ritual, das seit Tausenden von Jahren zentral für die jüdische Identität ist und einen Juden ausmacht", schrieb Peres Ende August an Gauck.

Auslöser des Streits ist ein Urteil des Landgerichts Köln. Die Richter hatten die Entfernung der Vorhaut bei Neugeborenen und Kleinkindern als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gewertet. Das Urteil, das für andere Gerichte nicht bindend ist, hatte erhebliche Unruhe unter Juden und Muslimen ausgelöst.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hatte die Berliner Regelung ebenfalls kritisiert: "Man darf Religion nicht bürokratisieren."

(RP)
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