Mönchengladbach Der Hetzer für den totalen Krieg

Mönchengladbach · Einer der größten Verbrecher des Nazi- Regimes war Rheinländer: Joseph Goebbels. Vor 70 Jahren, als Deutschland in Trümmern lag, brachte er seine Familie und sich um.

 Das undatierte Archivbild zeigt Joseph Goebbels während einer Rede.

Das undatierte Archivbild zeigt Joseph Goebbels während einer Rede.

Foto: dpa

Wer sich an Joseph Goebbels erinnert, erinnert sich zunächst an einen Satz, an eine in schneidendem Ton gebrüllte Frage: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Fassungslos hört man seit 72 Jahren die massenhaft gebrüllte Zustimmung. Dann die nächste Frage: "Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?" Wieder die Schreie der Zustimmung. Am 18. Februar 1943 hielt Goebbels, der deutsche "Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda" die Rede, die sein Biograf Peter Longerich als "seine wichtigste und zugleich abstoßendste rhetorische Leistung" wertet. Am nächsten Tag notierte Goebbels im Rückblick: "Die Stimmung gleicht einer wilden Raserei des Volkes." Es war eine gezielte Auswahl des Volkes, die an diesem 18. Februar im Berliner Sportpalast versammelt war: Einige Tausend alte Kämpfer der Nationalsozialisten, dazu, wie Goebbels mit Genugtuung vermerkte, "fast das gesamte Reichskabinett, eine ganze Anzahl von Reichs- und Gauleitern und fast alle Staatssekretäre". Und auch Frau Magda Goebbels mit den Töchtern Helga und Hilde.

Diese Rede, ausgestrahlt über alle Radiosender des Deutschen Reiches, mobilisierte auch nach Ansicht kritischer Leser der Berichte, die die Goebbels unterstellten Reichspropagandaämter in den Tagen danach erstellten, bei einem Teil der Deutschen die Bereitschaft, allerletzte Kraftreserven für die Kriegführung zu mobilisieren. Sie förderte auch noch einmal Goebbels' eigene Karriere: 1944 durfte er sich "Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz" nennen. Durch organisatorische Vereinfachungen sollte ein Höchstmaß von Kräften für Wehrmacht und Rüstung freiwerden. Im Detail war seine Macht aber ziemlich eingeschränkt.

Das war typisch für Hitlers Herrschaftsapparat. Der Führer und Reichskanzler sicherte seine Macht intern, indem er enge Vertraute gegeneinander ausspielte, konkurrierende Organisationsformen förderte, so dass er stets das letzte Wort behielt. Goebbels erfuhr das im Lauf seiner NS-Karriere immer wieder. An wichtigen Entscheidungen - etwa der Vorbereitung des Krieges gegen die Sowjetunion - war er nicht beteiligt. Bisweilen wurde er von Hitler benutzt, um irreführende Signale in die Welt zu setzen, etwa Spekulationen über einen Sonderfrieden mit der Sowjetunion. Seiner Treue zu Hitler tat das keinen Abbruch. Bis zum Selbstmord am 1. Mai 1945 sah Goebbels sich als der getreueste der Gefolgsleute des Führers.

Angefangen hatte das 1924. Hitler saß nach seinem in München gescheiterten Putsch in durchaus komfortabler Festungshaft in Landsberg. Hitlers Verbündeter, der ehemalige Generalstabschef Erich Ludendorff, sammelte die Reste der zerschlagenen NSDAP in Weimar zu einem "Gründungskongress der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Großdeutschlands". Mit dabei: Doktor Paul Joseph Goebbels, 26 Jahre alt, erfolgloser Schriftsteller, unter dem Einfluss des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler vom Katholiken zum Atheisten geworden, unter kleinbürgerlicher Herkunft und einer Depression leidend, auf der Suche nach einer geistigen Heimat. In Weimar traf er einen, der eine solche Heimat in der Vorstellung von einem nationalen Sozialismus gefunden hatte: Gregor Strasser. Durch ihn lernte Goebbels 1925 Adolf Hitler kennen.

Diese Begegnung entschied Goebbels' Leben. Er war von dem entschiedenen Auftreten des acht Jahre Älteren begeistert, auch wenn sich bald herausstellte, dass ihre politischen Vorstellungen nicht deckungsgleich waren. Hitler hatte in "Mein Kampf" ausführlich dargelegt, dass er Osteuropa, insbesondere auch Russland, als deutsches Siedlungsgebiet betrachtete. Goebbels dagegen sah Russland als Ort einer künftigen nationalen und sozialen Revolution, die durch die Machtergreifung der Bolschewisten nur verschoben sei. Mit Befremden notierte Goebbels, dass Hitler die deutschen Fürsten zwar enteignen, aber doch entschädigen wollte. Hitler hatte durch das Scheitern seines Putsches gelernt, dass er die Macht legal erobern müsse - Goebbels hätte das lange Zeit gerne mit den Mitteln des Straßenkampfes erreicht.

Bald zeigte sich, dass Goebbels ein begabter Krawall-Organisator war. Nach kurzer Redakteurstätigkeit für die Blätter "Völkische Freiheit" und "Nationalsozialistische Briefe" wurde er 1926 NSDAP-Ortschef in Berlin mit dem klangvollen Namen Gauleiter. Sofort brachte er die Partei in die Schlagzeilen, ließ deren Schlägerabteilung SA zu Kampfeinsätzen gegen die noch dominierenden Kommunisten antreten, erhöhte den Zulauf zur NSDAP. Schon 1927 organisierte er, der bei einem jüdischen Professor in Heidelberg promoviert hatte, der eine Halbjüdin als Freundin gehabt hatte, Ausschreitungen gegen Juden. Er beleidigte in seinem Kampfblatt "Der Angriff" jeden, der sich ihm in den Weg stellte, und profitierte von den milden Urteilen einer Justiz, für die die Verteidigung der Demokratie kein lohnendes Ziel war. Ab 1931 schützte ihn sein Mandat als Reichstagsabgeordneter.

Goebbels war erfolgreich, auch wenn die NSDAP bis 1933 in Berlin keine Wahl gewann. Er war so erfolgreich, dass er, obwohl Hitler lange zögerte, 1930 auch Reichspropaganda-Leiter der Partei wurde. Wie sein Mentor Hitler, dem er in allen innerparteilichen Kämpfen die Treue hielt (wobei er seinen ersten Förderer Gregor Strasser verriet), hatte Goebbels die Attraktivität der damals neuen Medien Radio und Film erkannt.

Radio, Film und große Teile der Presse brachte er unter seine Kontrolle, nachdem Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler und er Minister geworden war. Goebbels blieb der antisemitische und antidemokratische Hetzer, agierte als Lautsprecher des Regimes, organisierte den Führerkult, immer im Kampf mit anderen Paladinen des Führers. In dessen Gunst hielt ihn die Frau, die er mit Hitler als Trauzeuge 1931 geheiratet hatte, Magda, geschiedene Quandt. In sie war wohl auch Hitler verliebt, der dem Ehepaar Goebbels hohe Dotationen zukommen ließ, die dem Minister einen luxuriösen Lebensstil ermöglichten. Den er, der nur 1,65 Meter Große, mit einem Klumpfuß als Folge einer jugendlichen Knochenentzündung Geschlagene, zu Seitensprüngen mit einigen Filmgrößen nutzte.

Was bleibt von dem 1897 in Rheydt Geborenen, der seine Familie und sich am 1. Mai 1945 umbrachte, einen Tag nach Hitlers Selbstmord? Einige erschreckende Tonbänder. Seine Tagebücher, die etwas von der NS-Zeit erzählen. Und die Innenausstattung seines Geburtshauses, die der Künstler Gregor Schneider zum Gedenken an das Schreckliche gesammelt hat und bei den Opfern der deutschen Aggression ausstellt, die auch die Aggression des Joseph Goebbels war.

(RP)
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