Persönlich Joachim Gauck setzt ein Zeichen der Solidarität

Gewöhnlich achtet das Protokoll genau auf den Rang des Staatsoberhauptes. Wenn im Bundestag ein besonderer Akt stattfindet, dann ist für den Bundespräsidenten ein eigener Sessel vor den Reihen der Abgeordneten fällig. Wenn es um Kontakte mit Fraktionschefs, Ministern oder gar der Kanzlerin geht, dann machen diese ihm ihre Aufwartung. Nicht umgekehrt. Doch Gauck, der schon das traditionelle Sommerfest für Geladene in ein Bürgerfest für alle umfunktionierte, fügt sich nicht immer in gängige Abläufe.

So setzte er gestern ein besonderes Zeichen und unterstrich die Bedeutung der Debatte über die Erkenntnisse zur NSU-Mordserie durch einen Besuch im Bundestag — ohne Extrasessel. Mit Angehörigen der Mordopfer verfolgte er von der Zuschauertribüne, wie sich Bundestagspräsident Norbert Lammert bei den Familien entschuldigte.

Die äußere Geste verstärkte Gauck, indem er zu Beginn der Debatte die Hände seiner beiden Nachbarinnen, darunter Gamze Kubasik (links), der Tochter eines 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers, ergriff. Der Präsident wirkt vor allem durch sein Wort. Gauck zeigt, dass es mitunter auch ein schlichter Händedruck sein kann.

Seit Jahrzehnten fügt sich Gauck nicht in herkömmliche Raster. So hat er sich entschieden, sich "fürs Protokoll" nicht scheiden zu lassen, obwohl er von seiner Ehefrau Gerhild seit über zwei Jahrzehnten getrennt lebt. Vor vier Jahren verbrachten sie sogar den Tag ihrer Goldhochzeit zusammen. Seit 13 Jahren ist er mit der Journalistin Daniela Schadt zusammen, die auch die Funktion der "First Lady" übernommen hat. Und nun vertraut Gauck aktuell auch auf den fachlichen Rat seiner Freundin aus der Nach-Wende-Zeit: Die Publizistin Helga Hirsch schreibt ihm Passagen für wichtige Reden, ist immer wieder auch zu Besprechungen im Bellevue.

Ein präsidiales Zeichen, dass Protokoll und Konventionen im Leben nicht den ersten Platz haben müssen.

(may-)
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