Bundespräsident seit 25 Monaten im Amt Joachim Gauck - eine Zwischenbilanz

Berlin · Der Bundespräsident hat nach den Rücktritten seiner beiden Vorgänger dem Amt die Würde wiedergegeben. Er zeigt sich als Bürgerpräsident zum Anfassen. Mit seiner Art erntet er viel Begeisterung - aber auch Skepsis.

Inzwischen hat sich die Unordnung im Kopf gelegt. Jeder weiß: Ein Satz, der mit "Bundespräsident" beginnt, geht mit "Joachim Gauck" weiter. Niemand muss sich mehr konzentrieren, was an der Staatsspitze los ist - nachdem Horst Köhler die Brocken wegen einer winzigen Debatte über deutsche Interessen hingeworfen hatte und Christian Wulff schon bald im Amt geschrumpft und gescheitert war. Gauck strahlt wieder präsidiale Verlässlichkeit aus. Und wenn es nur dieses Verdienst wäre, dem Amt seine Würde zurückgegeben zu haben, wäre es schon ein Resümee, das sich sehen lassen könnte.

Doch Gaucks Zwischenbilanz fällt vielschichtiger aus. Aus der ersten Begeisterung, den 2010 noch unterlegenen "Präsidenten der Herzen" auf Umwegen nun doch im Amt zu wissen ("Yes, we Gauck"), ist alltägliche, wenn auch liebgewonnene Gewöhnung bei den Fans geworden, während Skeptiker der ersten Stunde weiter Anlässe zum Naserümpfen finden. Zu ihnen gehören diejenigen, die es für skandalös halten, dass der erste Mann im Staat in "wilder Ehe" lebt. Und da sind jene, denen Gaucks pastorale Art wie ein geschmeidiges Zukleistern von Konflikten und Problemen vorkommt - und deshalb auf Dauer zu wenig ist.

Gauck hätte sicherlich Verständnis für sie, wenn sie mit ihm zusammenträfen. Und er würde lebhaft nachfragen. Denn das ist sein Hauptcharakterzug: Er ist neugierig auf Menschen. Interessiert an dem, was sie tun und wie sie denken. Oft kollabieren bei Besuchen eng getaktete Zeitpläne, weil sich der Präsident einfach nicht losreißen kann aus den kleinen Gesprächen, die sein Erscheinen mit sich bringt. Noch ein Anliegen? Gauck hört zu und geht nicht ohne aufmunternde Bemerkung. Noch ein Erinnerungsfoto? Gauck lächelt und nimmt Aufstellung, als wäre es das erste Bild dieses Tages und nicht das gefühlt fünftausendste.

"Gauck wird auch nerven"
Infos

"Gauck wird auch nerven"

Infos
Foto: dpa, Rainer Jensen

Bürgerpräsident zum Ansprechen und Anfassen

Das hat mit Gaucks Amtsverständnis zu tun. Weil er vom Steuerzahler gut alimentiert wird, will er dem Bürger dafür auch ganz und gerne zur Verfügung stehen. Und so ist der 74-Jährige ein Bürgerpräsident zum Ansprechen und Anfassen. Doch er dürfte in einem Gespräch mit seinen Skeptikern dezent darauf hinweisen, dass man nicht überrascht sein dürfe, Gauck zu kriegen, wenn man Gauck wähle. Er hat sich in seiner juristischen Ehe mit Gerhild Gauck seit 55 Jahren genau so gut eingerichtet wie in seiner Partnerschaft mit Daniela Schadt seit 14 Jahren.

Und da alle einschließlich Kindern und Enkeln damit keine Probleme haben, sieht er keinen Anlass, das zu ändern. Zu Gauck als Pastor gehört dann eben auch eine Art, die der eine pastoral erlebt, der andere als anregend und Orientierung gebend, ohne dabei zu verletzen. Gerade in der Zeit der Wende, als noch nicht ausgemacht war, dass es unblutig bleibt, hat Bürgerrechtler Gauck die Wirkung seiner Worte auf eine Weise verfolgen können, dass er sich gerade hier treu bleiben möchte.

Zugleich hat er gelernt, dass Präsidenten-Worte schnell auf Waagschalen landen. Wenn er in Israel den Begriff "deutsche Staatsräson" vermeidet, wird ihm das genauso als Kritik an Kanzlerin Angela Merkel ausgelegt wie seine Erkenntnis, dass die Regierung die Europapolitik besser erklären sollte. Schnell wird dann noch einmal beschrieben, wie Merkel Gauck als Präsidenten verhindern wollte. Dabei ist aus beider Umfeld zu hören, wie gut sie miteinander auskommen.

Machtlos ist auch ein Bundespräsident, wenn nach der Wulff-Demontage der früher gepflegte Respekt gegenüber dem Amtsinhaber auch für ihn nicht mehr gilt. Konkret: Wenn die ZDF-"heute-show" sich wiederholt auf der Suche nach Lachern in inszenierter Wut über einzelne Gauck-Sätze hermacht. Gleichwohl entscheidet sich Gauck immer wieder, sich über Bedenken seiner Mitarbeiter hinwegzusetzen, sich bewusst angreifbar zu machen und bei Bedarf mit klaren Worten eindeutig Position zu beziehen. Lieber lässt er sich von der NPD beim Verfassungsgericht verklagen, als vor Schülern zu kneifen: An die appelliert er, den rechtsextremen "Spinnern" entgegenzutreten. In solchen Momenten bietet er zugleich allen Skeptikern Paroli - und ist das Gegenteil eines weichspülenden Präsidenten.

Mehr noch als alle seine Vorgänger hat Gauck mit einem ganz besonderen Phänomen zu kämpfen: dem leicht zu entwickelnden Gegensatz zwischen Erwartung und Realität. Da ein Präsident vor allem durch sein Wort wirkt, werden von dem wortmächtigen Gauck besonders epochale Reden zum Maßstab erhoben. Dabei haben auch seine Vorgänger nur sehr spärlich Chiffren geliefert, die über den Tag hinaus blieben. Aber selbst Kurzzeit-Präsident Wulff hat mit dem Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" Spuren hinterlassen. Wenn Gauck freilich will, dass die Integrationspolitik differenzierter betrachtet wird, kann er hier medial kaum gegensteuern, sosehr er sich auch bemüht, etwa indem er zu den "Ostdeutschen" und "Westdeutschen" nun die "Neudeutschen" hinzufügt.

Auch ein Nachlesen von Gaucks Europa-Rede lohnt. Sie war "groß" und hätte noch in den 60er Jahren den politischen Diskurs nachhaltig beeinflusst. Doch im Internet-Zeitalter ist die Halbwertzeit selbst herausragender Gedanken auf wenige Stunden zusammengeschmolzen. Dagegen kommt auch ein Gauck nicht an. Er kann es nur ständig wieder versuchen. Und das tut er.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort