Jerusalem Jerusalem droht eine schleichende Intifada

Jerusalem · Die Polizei sperrt nach einem Anschlag auf einen radikalen Rabbi zeitweilig den Tempelberg.

"Bist du Jehuda Glick?", fragte der Attentäter auf Hebräisch, aber mit arabischem Akzent. Als Glick, Rabbi und nationalreligiöser Aktivist der politischen Rechten, bejahte, eröffnete der Mann das Feuer. Vier Kugeln trafen Glick und verletzten ihn lebensgefährlich. Der Täter konnte zunächst fliehen. Doch wenig später erschoss eine Spezialeinheit der israelischen Polizei in Jerusalem den mutmaßlichen Attentäter, einen 32-Jährigen namens Moatas Hidschasi. Die Nachricht von seinem Tod löste schwere Unruhen in Ost-Jerusalem aus. Daraufhin sperrten die Sicherheitskräfte erstmals seit Jahren den Tempelberg vorübergehend für alle Besucher.

Immer wieder kommt es hier zu Auseinandersetzungen. Die Frage, wer die Oberaufsicht behalten soll, ist einer der Knackpunkte bei den nahöstlichen Friedensverhandlungen. Die Zugänge zum Gelände des Tempelberges stehen unter strikter Sicherheitskontrolle der israelischen Armee. Für das Gelände selbst ist die Wakf zuständig, eine Stiftung islamischen Rechts, wobei das letzte Wort beim jordanischen Königshaus liegt. Wichtiger Grund für die sich seit Wochen zuspitzenden Spannungen in Jerusalem ist der Versuch von radikal-jüdischen Gruppen, das alleinige Gebetsrecht von Muslimen auf dem Tempelberg zu durchbrechen.

Online-Berichten des Radiosenders Arutz 7 zufolge, der der Siedlerbewegung nahesteht, hatte das Anschlagsopfer Glick mehrmals wegen Morddrohungen bei der Polizei vorgesprochen. Der Sender berichtete über Internet-Seiten des Islamischen Dschihad, die Fotos von Glick zeigten und ihn als "Siedler-Anführer" bezeichneten, der eine "Masseninvasion" plane, um "mit Tausenden Juden die Muslime vom Tempelberg zu vertreiben". Die israelische Zeitung Haaretz zitierte einen Sprecher der Extremistenorganisation, der den Mordversuch an dem jüdischen Aktivisten begrüßte.

Der Mordversuch an Glick heizt die ohnehin schon äußerst angespannte Lage weiter an. Seit dem Mord an dem 16-jährigen Palästinenser Mohammed Abu Khdeir durch radikale Juden vor vier Monaten kommt die Stadt nicht zur Ruhe. Als "schleichende Intifada" bezeichnete der israelische Sender Channel 10 die unablässige Gewalt in der Stadt. Fast jede Nacht kommt es zu Angriffen von Arabern gegen Juden und von Juden gegen Araber. Die Polizei ist offenbar machtlos. Bürgermeister Nir Barkat forderte, man müsse Drohnen zur Überwachung einsetzen, um die Rädelsführer dingfest zu machen.

(RP)
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