Jerusalem Sechs Tote bei Anschlag auf Synagoge in Jerusalem

Jerusalem · Zwei Palästinenser ermorden mit einem Metzgerbeil vier Betende. Die Hoffnungen auf eine Beruhigung der Lage sind auf Null gesunken.

Der freiwillige Sanitäter Avi Nafussi wird den Anblick in der Synagoge Har Nof nie vergessen. "Es war nicht angenehm", berichtete der 28-Jährige, der direkt neben dem jüdischen Gebetshaus wohnt, in dem gestern sechs Menschen starben: Bei dem ersten Terroranschlag in einer Synagoge in Jerusalem hatten zwei palästinensische Angreifer vier jüdische Betende getötet und mindestens acht weitere Menschen teils schwer verletzt. Polizisten erschossen danach die beiden Attentäter.

Avi Nafussi war schon zur Stelle, bevor die Polizei die beiden palästinensischen Angreifer niederstreckte. "Ich bin hinter meinem Auto in Deckung geblieben, bis mich die Sicherheitskräfte zur Bergung der Verletzten gerufen haben", berichtet er. Immer wieder zieht sich Nafussi auf die vage Beschreibung "nicht angenehm" zurück, räumt dann aber ein, dass die vier ermordeten jüdischen Betenden, die er zum Teil selbst kannte, "nicht an Schusswunden gestorben sind". Armeesprecher Peter Lerner twitterte später Bilder vom Ort des Attentates. Eins davon zeigt ein blutverschmiertes Beil.

Es war der erste tödliche Anschlag auf eine Synagoge in Jerusalem. 2008 hatte ein palästinensischer Angreifer in einer jüdischen Religionsschule in der Stadt acht Studenten getötet. In den vergangenen Wochen ist es in Israel und den Palästinensergebieten immer wieder zu Konfrontationen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern gekommen. Es gab auch eine Serie von Anschlägen auf Israelis. Jüngster Auslöser der Spannungen ist der Streit über den Tempelberg (Haram al Scharif) in Jerusalems Altstadt, der Juden und Muslimen gleichermaßen heilig ist.

Zu der Tat in Har Nof, die weltweites Entsetzen auslöste, bekannte sich die "Volksfront zur Befreiung Palästinas". Es muss ein regelrechtes Gemetzel gewesen sein, das sich in den frühen Morgenstunden unter den ultraorthodoxen Betenden abspielte. "Dies", so teilt ein Palästinenser über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter dem israelischen Polizeisprecher mit, sei "die Antwort auf den Lynchmord an einem palästinensischen Busfahrer". Am späten Sonntagabend war der Mann kurz vor Beginn seiner Schicht erhängt in seinem Fahrzeug aufgefunden worden. Eine Autopsie, an der auch ein palästinensischer Arzt beteiligt war, ergab, dass der Busfahrer sich selbst tötete. Das Gerücht von einem Mord durch jüdische Extremisten war unter den Palästinensern dennoch nicht zu stoppen.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu beeilte sich, die Hamas und den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, dessen "Hetze die internationale Gemeinschaft unverantwortlicherweise ignoriert", für den Gewaltakt in der Synagoge mitschuldig zu erklären. Tatsächlich verurteilte Abbas das Attentat und "die Morde an Unschuldigen". Joram Cohen, Chef des inländischen israelischen Geheimdienstes Shin Bet, widersprach seinem Regierungschef: Abbas sei an Terror nicht interessiert.

Die Hamas pries hingegen den Terrorakt, der keinesfalls überraschend gekommen sei, wie Ghazi Hamad, Sprecher der Islamisten im Gaza-Streifen sagte. "Jerusalem kocht", meinte er und verurteilte das "zweierlei Maß des israelischen Rechtssystems", das den Abriss von Familienhäusern palästinensischer Angreifer erlaube, israelische Angreifer hingegen ungeschoren lasse. Netanjahu kündigte an, mit "harter Hand" auf den seit sechs Jahren schwersten Anschlag in Jerusalem zu reagieren und ordnete die Zerstörung der Häuser der Täter an. "Wir werden stark sein und unsere Stadt vor denen schützen, die den Frieden in unserer Hauptstadt stören wollen", resümierte Bürgermeister Nir Barkat. Die Handlungsmöglichkeiten sind indes nicht allzu groß: Seit Wochen vergeht kaum ein Tag in Jerusalem ohne einen Anschlag. Die palästinensischen Attentäter zeugen von so großer Bereitschaft zum Freitod, dass ihnen mit Abschreckung kaum zu begegnen ist. Problematisch für den israelischen Sicherheitsapparat ist vor allem, dass es sich um Einzeltäter handelt, die oft im Affekt handeln.

Die vier Betenden hatten nach Angaben der Polizei neben der israelischen eine zweite Staatsbürgerschaft: Drei seien auch US-Bürger gewesen, der vierte war Brite.

Die beiden Terroristen aus der Synagoge sind Cousins, Mitte 20 und aus dem Ostjerusalemer Viertel Jabel Mukaber. Am Nachmittag kam es dort zu schweren Unruhen, nachdem die Polizei mehrere Familienangehörige der beiden festnahm.

US-Außenminister John Kerry verurteilte den Terrorakt und sprach von sinnloser Brutalität. "Diese Gewalt hat nirgends einen Platz." Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte: "Die Überlagerung der zahlreichen ungelösten politischen Fragen mit religiöser Konfrontation gibt einem ohnehin ernsten Konflikt eine neue gefährliche Dimension."

(RP)
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