Berlin Jeder gegen jeden in der Koalition

Berlin · Beim Koalitionsgipfel morgen Abend nehmen sich Union und Liberale schwer zu lösende Probleme vor. Trotzdem soll es angesichts der neuen Steuerschätzung Durchbrüche geben: geringere Steuern, mehr für die Infrastruktur, leichterer Zuzug von Fachkräften und ein Konzept für die Pflege.

Seit Tagen steigen die Handykosten der Verantwortlichen bei CDU, CSU und FDP. Denn Sonntagabend wollen sie beim Koalitionsgipfel im Kanzleramt mal wieder einen Neustart wagen und die Dauer-Streitthemen serienweise vom Tisch bringen. Weil sich aber auch gestern trotz zahlreicher Telefonate noch kaum Kompromisse abzeichneten, wurden die CDU-Ministerpräsidenten und ihre FDP-Stellvertreter, die die Lösungs-Konzepte schon am morgen Nachmittag begutachten sollten, wieder ausgeladen. Zu fraglich war den Gipfel-Vorbereitern, ob sich nach einem Mittagessen der drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Philipp Rösler (FDP) und Horst Seehofer (CSU) schon Verständigungslinien abzeichnen. Die größten Baustellen:

Steuern Die Koalition hat sich selbst in die Pflicht genommen, ab 2013 untere und mittlere Einkommen spürbar zu entlasten. Das von Finanz- und Wirtschaftsminister entwickelte Modell zur Reduzierung der kalten Progression hat aber keine Chance auf Zustimmung im Bundesrat. CSU und FDP denken mehr an eine Verringerung des Solidaritätszuschlages, was bei der Ost-CDU, in Landesregierungen und Fraktion auf Widerstand trifft. In der Unionsfraktion wurde stattdessen die Stromsteuer als Sparobjekt ins Gespräch gebracht.

Schulden Nach der gestrigen Steuerschätzung sieht Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Spielräume für Steuersenkungen. Der Staat kann in den Jahren 2011 bis 2014 insgesamt 33,3 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen erwarten als bislang prognostiziert. Das Steuerplus beträgt allerdings wegen des Wachstumseinbruchs 2012 nur 7,4 Milliarden. 2013, wenn die Steuersenkung ansteht, geht das Plus auf nur 4,5 Milliarden Euro zurück. Zudem läuft Schäuble Gefahr, im kommenden Jahr wieder mehr neue Schulden machen zu müssen. Bisher nicht eingeplant sind nämlich Mehrausgaben unter anderem für Hartz-IV-Bezieher und das Infrastrukturprogramm sowie weitere Zusatz-Ausgaben.

Infrastruktur Die von der CSU geforderte Maut auch für Pkw wird Seehofer fallenlassen, wenn der Verkehrsetat um einen Milliardenbetrag aufgestockt wird. Während Steuererleichterungen schnell verfrühstückt seien, hätten von besseren Straßen alle etwas, heißt es in der Koalition. Jedoch will Seehofer auch zusätzliche Kompensationsleistungen des Bundes für die von Standortschließungen der Bundeswehr betroffenen Länder. Daran könnten sich die Verhandlungen morgen festfahren.

Fachkräfte-Zuzug Die Wirtschaft ringt um Fachkräfte, doch die Koalition kam seit zwei Jahren nicht weiter, weil die CSU am liebsten nichts verändern und die FDP möglichst viele Dämme einreißen will. Als Kompromiss könnte die Verdiensthürde von 66 000 auf 55 000 Euro gesenkt werden und die Vorrangprüfung, ob es wirklich keine deutschen Kräfte gibt, in weiteren Mangel-Branchen fallen.

Pflege Der einzige gemeinsame Nenner ist die Einsicht, dass die Leistungen ausgeweitet werden sollen. Pflegebedürftige sollen besser nach ihren Bedürfnissen behandelt werden und Demenzkranke mehr erhalten. Mit einer Erhöhung des Pflegebeitrags um 0,3 Prozentpunkte ließe sich dies finanzieren. Offen bleibt, wie der im Koalitionsvertrag festgelegte Kapitalstock aufgebaut werden kann. Hier stehen sich CSU und FDP unversöhnlich gegenüber. Von Gesundheitsminister Daniel Bahr wird morgen ein neues Konzept erwartet.

Betreuungsgeld Die Zahlung für Familien, die ihre kleinen Kinder ausschließlich zu Hause betreuen, ist ein Herzensanliegen der CSU. Die FDP ist strikt dagegen, die CDU gespalten. Angesichts der guten Steuereinnahmen will die CSU nun Nägel mit Köpfen machen. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hat allerdings die Pläne schon gestutzt: Statt zwei Jahre soll nur noch ein Jahr im Anschluss ans Elterngeld gezahlt werden. Schröder erwägt zudem, das Betreuungsgeld auch jenen Familien zu zahlen, in denen beide arbeiten und sich ein Elternteil für Teilzeit entscheidet.

Streitpunkte bleiben daneben unter anderem die Vorratsdatenspeicherung, der Mindestlohn und die Euro-Krise. Die Themen dürften morgen zwar angesprochen werden, einer Lösung aber nicht näherkommen.

(RP)
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