Stress für viele Familien Die Qual mit den Hausaufgaben

Meinung | Berlin · Hausaufgaben sorgen in vielen Familien für Stress und Aggressionen. Die Linke will sie darum abschaffen. Warum das falsch wäre. Und sich bei Hausaufgaben trotzdem etwas ändern müsste.

 Viele Eltern helfen heute bei den Hausaufgaben. Das hat Gründe.

Viele Eltern helfen heute bei den Hausaufgaben. Das hat Gründe.

Foto: dpa/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Die Vorsitzende der Linke will Hausaufgaben abschaffen. Der alltägliche Stress mit den Aufgaben aus der Schule vergifte das Familienleben, bedeute Streit und schüre Aggressionen, schreibt Janine Wissler in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ . Für sie sind Hausaufgaben „Outsourcing schulischer Aufgaben in die Familien“. Das vertiefe die Spaltung im Bildungssystem, weil manche Familien sich nun mal leichter tun mit der Förderung ihrer Kinder daheim als andere. Darum sollten tägliche Hausaufgaben, die in der Schule kontrolliert würden, abgeschafft werden.

Die Diagnose ist richtig, der Schluss falsch. Tatsächlich sind Hausaufgaben in vielen Familien beständiger Quell für Unmut und Streit. Das hat damit zu tun, dass Kinder heute oft nicht mehr in ihre Kinderzimmer abzischen, um die lästige Pflicht zu erfüllen. Und dann raus zum Spielen. Heute beschäftigen die Aufgaben oft die halbe Familie. Oder die ganze. Hausaufgaben werden am Küchen- oder Wohnzimmertisch gemacht – mit Assistenz von Mama und Papa. Die kontrollieren nicht mehr nur, ob der Nachwuchs seine Sachen ordentlich erledigt hat, sie brüten mit über Aufgabenstellungen, die auch sie nicht richtig verstehen. Kramen in ihrem eigenen Schulwissen, versuchen, Hilfestellung zu geben. Oft muss das abends passieren, wenn die Eltern aus dem Job nach Hause kommen. Dann hat der Tag die Geduld bei allen Beteiligten schon aufgebraucht. Und die Vorwurfmuster schleifen sich ein: Nun gib dir mal Mühe! Nun lass mich in Ruhe!

Wegen dieser Diagnose nun kurzerhand das Ende der Hausaufgaben zu fordern, ist allerdings so simpel wie falsch. Zum einen wäre es zum Nachteil der Kinder. Denn Lernen, ohne zu üben, funktioniert nun mal nicht. Natürlich muss Schulstoff daheim vertieft, Gelerntes angewendet und durch Übungen verinnerlicht werden, dazu reicht die Zeit in der Schule nicht. Es sei denn, Kinder besuchen Schulformen mit Tagesangeboten, bei denen genau das in der Schule erledigt wird. Und zwar tatsächlich, nicht nur auf dem Papier. Aber zur Schule zu gehen, bedeutet nun mal auch, sich den Mühen des Lernens auszusetzen, auch zu lernen, mit den Unlustgefühlen umzugehen und den Medienkonsum so zu dosieren, dass konzentrierte Phasen möglich sind. Das ist heute schwieriger geworden.

Zugleich sind die Abstiegsängste der Mittelschicht gewachsen. Und das ist keineswegs irrational. Wenn in der Öffentlichkeit etwa ständig davon die Rede ist, dass China zur neuen Supermacht aufsteigt, das alte, digital abgehängte Europa bald das Nachsehen haben könnte, dann ist das nicht nur eine geopolitische Frage. Es hat Auswirkung auf das Klima in den angeblich bedrohten Gesellschaften bis hinunter in die Familien, es kostet Zuversicht, schürt Ängste. Kinder und Heranwachsende – wie auch ihre Eltern werden heute ständig mit Negativszenarien konfrontiert. Das Klima wird das Leben unwirtlich machen, künstliche Intelligenz attraktive Jobs überflüssig. Natürlich reagieren Eltern, die sich über die Zukunft ihrer Kinder Gedanken machen, darauf mit Sorge. Natürlich versuchen sie, ihren Kindern dann wenigstens bestmögliche Startbedingungen zu verschaffen, ihnen unter die Arme zu greifen, ihnen zu guten Noten zu verhelfen. Damit der Nachwuchs wenigstens daran nicht scheitert. Es ist heute nicht mehr so leicht zu sagen, ab aufs Zimmer, mach deinen Kram, wird schon werden.

Zugleich ringen Schulen mit dem Lehrkräftemangel, gibt es unendlich viele Ausfallstunden, wird tatsächlich von manchen Lehrkräften schon einkalkuliert, dass es die Eltern daheim schon richten werden. Kinder bewältigen ihre Hausaufgaben aber erst dann gut alleine, wenn sie im Unterricht gut angebahnt wurden. Wenn sie aus sinnvollen Übungen bestehen und auf einer Basis aufbauen, die auch vermittelt wurde. Doch diese didaktische Qualität ist nicht immer vorhanden. Auch das ist Teil der Wahrheit. Aus Mangel an Lehrkräften und teils mangelnder Kompetenz geschieht also tatsächlich ein „Outsourcing“ in die Familien. Doch genau deswegen ist Politik gefordert, den Mangel zu beheben. Bildung zum Thema zu machen. Die Lehrerausbildung zu verbessern. Geld dafür auszugeben. Und nicht die Hausaufgaben zu streichen. Denn der Stress in den Familien ist nur ein Symptom für viele Probleme des Bildungsstandorts Deutschland. Keine Ursache, die man kurzerhand abstellen könnte – ohne die Verblödung der heranwachsenden Generation zu riskieren.

Familien, die es sich leisten können, reagieren oft pragmatisch. Sie versuchen, den Ärger aus der Familie rauszuhalten, indem sie Nachhilfe bezahlen. Teils schon im Grundschulalter. Und teils auch bei Schülerinnen und Schülern mit guten Noten. Vorsichtshalber. Damit es bis zum Abi so bleibt. So findet tatsächlich ein weiteres Auseinanderdriften statt zwischen Kindern, die solche Hilfe bekommen – oft ohne das offen zuzugeben – und solchen, die allein klarkommen müssen. Einige schaffen es trotzdem. Weil Motivation, Intelligenz, Leistungsbereitschaft keine Frage der sozialen Schicht ist. Aber die Ausgangschancen werden ungleicher. All das gilt es zu bedenken, wenn über neue Wege in der Schule nachgedacht wird. Dabei sollte man Schulen und Lehrkräften vor Ort viel mehr Freiheit geben – von der Stoffwahl bis zur Methode. Denn sie kennen ihre Schüler, erfahren von den Problemen daheim – etwa mit den Hausaufgaben. Sie abzuschaffen, ist keine Lösung. Es wäre der nächste Schritt zu einer Bildung light, die Deutschland sich schon lange nicht mehr leisten kann.

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