Streitpunkt Flüchtlingszuzug Jamaika geht nur ohne Obergrenze

Berlin · Die CSU will den Flüchtlingszuzug stark eindämmen, die Grünen sind dagegen. CDU und FDP bemühen sich um Kompromissmodelle. Hier sind die einzelnen Positionen der Parteien einer möglichen Jamaika-Koalition.

Die CSU will den Flüchtlingszuzug stark eindämmen, die Grünen sind dagegen. CDU und FDP bemühen sich um Kompromissmodelle. Hier sind die einzelnen Positionen der Parteien einer möglichen Jamaika-Koalition.

Die von der CSU beharrlich geforderte Obergrenze für die jährliche Flüchtlingsaufnahme könnte eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen verhindern. Die Bayern-Partei will die Begrenzung unbedingt, die Grünen lehnen sie vehement ab. CDU und FDP bemühen sich, Brücken zu bauen. "Wir sind gegen eine starre Obergrenze bei der Aufnahme von Asylberechtigten. Aber über eine Grenze der Integrationskraft unseres Landes müssen wir reden", sagte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Auch CDU-Innenpolitiker Armin Schuster lehnte einen "in Stein gemeißelten Grenzwert" ab, sprach aber von "Richtwerten oder Korridoren", die sich an Weltlage und Machbarkeit orientieren sollten.

Viele Positionen der Parteien, was Einwanderung und Flüchtlinge angeht, ähneln sich. In Berlin werden Kompromissmodelle diskutiert. Eine Übersicht:

  • CDU Abgesehen von dem erbitterten Streit um die Obergrenze haben CDU und CSU in Fragen der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik weitgehend einheitliche Positionen. Einig sind sie sich, dass sich ein unkontrollierter Zustrom wie im Sommer und Herbst 2015 nicht wiederholen darf und dass die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, dauerhaft niedrig bleibt. Kontrollierte Zuwanderung von Fachkräften soll es geben: Wer einen sozialversicherungspflichtigen Job nachweisen kann, soll nach Deutschland einwandern können.
  • CSU Zuwanderung und Obergrenze sind eines der ganz wenigen Themen, bei denen man die Schwesterparteien getrennt aufführen muss. Abweichend vom gemeinsamen Wahlprogramm fordert die CSU bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine Obergrenze von 200.000 pro Jahr. Die CDU und die möglichen Koalitionspartner FDP und Grüne lehnen eine solche Obergrenze strikt ab. Die CSU will zudem den Familiennachzug begrenzen und besteht darauf, dass die Balkanroute dauerhaft geschlossen bleibt.
  • FDP Sie will ein Einwanderungsgesetzbuch schaffen, das zwischen Asylberechtigten, Kriegsflüchtlingen und dauerhaften Einwanderern unterscheidet. Kriegsflüchtlinge sollen einen eigenen Status und vorübergehenden humanitären Schutz bis zum Kriegsende erhalten. Die Fachkräfte-Zuwanderung soll über ein Punktesystem à la Kanada funktionieren: Kriterien für Punkte sollen Bildung, berufliche Qualifikation, Alter und Sprachkenntnisse sein. Auch Asylbewerber sollen sich über das Punktesystem bewerben dürfen. "Das Grundrecht auf Asyl für individuell politisch Verfolgte ist für die FDP unantastbar", sagte Bundesvorstandsmitglied Alexander Graf Lambsdorff
  • Grüne Auch die Grünen wollen ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte nach kanadischem Vorbild mit Punktesystem. Eine unabhängige Kommission soll jährlich festlegen, wie viele Fachkräfte kommen können. Sie soll auch "Talentkarten" verteilen. Sie sollen Migranten berechtigen, ein Jahr lang einen Job in Deutschland zu suchen. Auch qualifizierte Asylbewerber sollen über einen "Spurwechsel" zu anerkannten Einwanderern werden können. Zudem stehen die Grünen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik: Eine Obergrenze lehnen sie strikt ab. Die von der Union durchgesetzte Aussetzung des Familiennachzugs bis März 2018 wollen sie rückgängig machen. Das Grundrecht auf Asyl dürfe nicht angetastet werden.

Und so könnten die Kompromisslösungen aussehen:

  1. Kompromissmodell Orientierungsgröße Bereits 2016 unternahm die damalige CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt einen Vermittlungsversuch zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie schlug anstelle der Obergrenze eine "Orientierungsgröße" vor. Danach hätte man die 200.000 oder von Jahr zu Jahr schwankende Zahlen als Orientierungsgröße festgelegt, aber nicht die Grenzen verriegelt, wenn der 200.000. Flüchtling da ist, sondern bereits bei Annäherung an die Grenze weitere Maßnahmen zur Begrenzung ergriffen. Da das Modell immer noch recht nah an der Obergrenze ist, hat es wenig Aussicht auf Umsetzung bei Jamaika.
  2. Kompromissmodell Einwanderungsobergrenze Es gibt den Vorschlag, ein Regelwerk zu schaffen, in dem Fachkräftezuwanderung und Flüchtlingszustrom miteinander korrespondieren. Demnach wird eine Obergrenze für die Zuwanderung insgesamt festgelegt. Kommen zu viele Flüchtlinge, senkt man den Fachkräftezuzug. Das Modell ist schwierig umzusetzen. Fachkräftezuwanderung und Asylrecht zu vermischen, wäre gesetzgeberisch unsauber. Zudem hat die Idee den Nachteil, dass damit die notwendige Fachkräfte-Zuwanderung stärker begrenzt werden könnte, als es für die Wirtschaft gut ist.
  3. Kompromissmodell Maßnahmenkatalog Die Parteien kommen überein, keine starre Obergrenze festzulegen, denn die CSU kann sie gegen Grüne und FDP nicht durchsetzen. Die kleinen Parteien willigen im Gegenzug aber ein, den Flüchtlingszuzug durch einen Maßnahmenkatalog zu begrenzen. Dazu gehören mehr Geld zur Fluchtursachenbekämpfung, mehr Geld für den EU-Grenzschutz, schnellere Abschiebungen von Geduldeten und abgelehnten Asylbewerbern. Die Grünen erklären sich zudem bereit, im Bundesrat der Anerkennung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zuzustimmen. Die Union willigt ein, größere Flüchtlingskontingente aus Lagern aufzunehmen. Wahrscheinlichkeit dieser Lösung: hoch, weil machbar.
  4. Kompromissmodell Europa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will eine europäische Migrationsbehörde und ein gemeinsames Asylrecht schaffen. Dadurch würden die großen Unterschiede zwischen Deutschland und anderen Ländern geringer. Bisher bietet Deutschland mit die höchsten Asylbewerberleistungen und das großzügigste Asylrecht. Macron will zudem einen besseren Schutz der EU-Grenzen, eine würdige Aufnahme von Asylbewerbern durch Kontingente und schnellere Abschiebungen. Zustimmung hat die Kanzlerin auf dem EU-Gipfel in Tallinn hier schon signalisiert. Eine schnelle Umsetzung ist jedoch unwahrscheinlich, da die Grünen, aber auch andere keine Verschlechterung des deutschen Asylrechts akzeptieren würden.
(mar / qua)
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