"Kalte Progression" Jährlich drei Milliarden Euro "heimliche Steuern"

Berlin · Lohnerhöhungen lassen auch die Steuertarife steigen. Diese "kalte Progression" liegt höher als bislang angenommen.

Jahr für Jahr zahlen die Bürger knapp drei Milliarden Euro mehr an Steuern, ohne dass offiziell die Steuern erhöht werden. Diese Summe nannte die Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Axel Troost. Damit liegt die sogenannte kalte Progression höher als bislang angenommen. Fachleute sprechen auch von "heimlicher Steuererhöhung".

Der Begriff beschreibt den Umstand, dass in Deutschland mit wachsendem Einkommen auch der Steuertarif steigt. Wer also ein höheres Einkommen hat, muss prozentual mehr von seinem Einkommen an den Fiskus abgeben als Arbeitnehmer mit geringerem Verdienst. Das heißt, eine Gehaltserhöhung oder eine tarifliche Lohnsteigerung wird automatisch auch mit einem höheren Steuertarif belegt. Dieses Prinzip, das für soziale Gerechtigkeit sorgen soll, sichert dem Staat zugleich Jahr für Jahr satte Steuermehreinnahmen.

Diese heimlichen Steuererhöhungen treffen auch Durchschnittsverdiener. Der Bund der Steuerzahler hat sein wissenschaftliches Institut dafür Beispiele berechnen lassen. Die Fachleute gehen davon aus, dass es bis 2017 für Arbeitnehmer eine durchschnittliche Lohnsteigerung von insgesamt gut 13 Prozent geben wird. Ein Alleinstehender mit 30 000 Euro Jahresgehalt muss heute dafür 5098 Euro an Steuern zahlen. Wenn er im Jahr 2017 dann 33 990 Euro verdient, wird er dafür 7274 Euro Steuern entrichten müssen. Das heißt, während das Einkommen um rund 13 Prozent wächst, steigen die Steuern um rund 23 Prozent. Bei einem verheirateten Paar mit 60 000 Euro Jahreseinkommen steigt die Steuerlast nach dieser Berechnung ebenfalls um knapp 23 Prozent.

"Die Politik sollte den Abbau der kalten Progression in Angriff nehmen, schließlich werden die Steuerzahler durch die kalte Progression überproportional besteuert", sagte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel. Davor dürfe auch der Bundesrat die Augen nicht verschließen. "Mit einem Abbau der kalten Progression könnten besonders kleine und mittlere Einkommen von zukünftigen ungerechtfertigten Steuererhöhungen befreit werden."

Die Bundesregierung hatte in der laufenden Wahlperiode bereits ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die heimlichen Steuererhöhungen eindämmen sollte. "SPD und Grüne haben diesen Entwurf im Bundesrat blockiert", kritisierte FDP-Fraktionsvize Volker Wissing. Sie trügen deshalb "die politische Verantwortung für eine heimliche Steuererhöhung im Umfang von drei Milliarden Euro zulasten der Arbeitnehmer im Land".

Für die Bürger bedeutet die kalte Progression im Zweifel tatsächlich ein Minusgeschäft. Denn wenn die Lohnzuwächse brutto lediglich die allgemeine Preissteigerung ausgleichen, sinkt wegen der heimlichen Steuererhöhung die reale Kaufkraft der Steuerzahler.

Vonseiten der SPD-geführten Länder gibt es angesichts der neuen Zahlen ein Einlenken. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD), der mit den anderen SPD-geführten Bundesländern im Mai 2012 das Gesetz zum Ausgleich der kalten Progression im Bundesrat gestoppt hatte, hält nun zumindest eine leichte Minderung für möglich.

Er forderte die Bundesregierung auf, "eine Senkung des Einkommensteuertarifs mit gesamtstaatlichen Steuerausfällen von bis zu zwei Milliarden Euro auf den Weg zu bringen". Die Haushalte der Länder und Kommunen müssten aber im Gegenzug für die Steuerausfälle mit 1,2 Milliarden Euro entschädigt werden, forderte er. Diese Summe war bereits im vergangenen Jahr im Gespräch. Der Bund wollte mit diesem Angebot die Zustimmung der Länder für das Gesetz zur Milderung der kalten Progression gewinnen. Dies reichte den Ländern damals nicht aus, weil es um Steuermindereinnahmen in Höhe von sechs Milliarden Euro ging.

(qua)
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