Istanbul Der Hafen des Menschenschmuggels

Istanbul · Die türkische Stadt Mersin hat sich zu einer Operationsbasis für Schlepperbanden entwickelt. Das belegen die jüngsten Beinahe-Katastrophen im Mittelmeer. Flüchtlinge aus Syrien können die Stadt ohne Umweg über die Landgrenze erreichen.

Die südtürkische Hafenstadt Mersin ist Dreh- und Angelpunkt einer neuen Route beim Menschenschmuggel aus Nahost und Afrika in den Westen. Die beiden Frachter mit mehreren Hundert Flüchtlingen, die in der vergangenen Woche vor Italien auftauchten, begannen ihre Reise in der türkischen Stadt. Nach Einschätzung von Experten löst Mersin immer mehr das von Unruhen erschütterte Libyen als wichtige Station bei Flüchtlingstransporten nach Europa ab. Die Hafenstadt hat aus Sicht der Schleuser besonders für das Geschäft mit syrischen Flüchtlingen mehrere Vorteile - und fällt nicht zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem illegalen Flüchtlingstransport Richtung Westen auf.

Mersin ist einer der größten Häfen der Türkei und das Tor für den Handel im östlichen Mittelmeer. Ältere Frachter fallen in der Gegend deshalb nicht besonders auf. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex berichtete kürzlich, Menschenschmuggler kauften in der Umgebung von Mersin neuerdings schrottreife Schiffe von bis zu 75 Meter Länge auf.

Bis zur türkisch-syrischen Landgrenze sind es von Mersin aus lediglich 150 Kilometer. Für die Schleuser ist es daher relativ einfach, syrische Flüchtlinge von der Grenze zur Küste bei Mersin zu bringen - die Ägäis, der traditionelle Ausgangspunkt für Flüchtlingsfahrten aus der Türkei in Richtung EU, liegt 600 Kilometer weiter westlich. Zudem haben die türkischen Behörden in jüngster Zeit unter dem Druck der EU die Kontrollen an der Westküste verstärkt. Allein in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres fassten sie mehr als 11 000 Flüchtlinge an der Ägäis. Doch die Überwachung der insgesamt 7200 Kilometer langen Meeresküsten der Türkei ist schwierig; strenge Kontrollen wie in der Ägäis gab es in Mersin bisher nicht.

Und die Stadt bietet für die Menschenschmuggler einen wichtigen Vorteil: Nach Angaben von Frontex besteht trotz des syrischen Bürgerkrieges nach wie vor eine Fährverbindung zwischen Mersin und der syrischen Hafenstadt Latakia. Flüchtlinge aus Syrien können Mersin also sogar ohne Umweg über die Landgrenze erreichen. Nach der Ankunft dort werden die Flüchtlinge auf kleineren Fischerbooten gruppenweise aufs Meer gefahren, wo sie dann auf größere Schiffe umsteigen müssen.

Diese Taktik war in der Türkei bereits vor den Vorfällen der vergangenen Woche in Italien bekannt: Rund 200 völlig durchnässte syrische Flüchtlinge führten die Behörden im Dezember auf die Spur. Die Menschen waren damals mit einem Fischerboot auf hohe See gebracht worden, um mit einem Flüchtlingsschiff die Reise nach Europa anzutreten, wurden aber aus unbekannten Gründen abgewiesen. Als das Fischerboot unverrichteter Dinge mit den Flüchtlingen an Bord Richtung Mersin zurückfuhr, geriet es in einen Sturm. Der Kapitän entschloss sich, das Boot am Ufer auf Grund zu setzen, um eine Havarie zu vermeiden. Beim Aufprall auf das Ufer gingen die Flüchtlinge über Bord und wurden von Türken aus der Umgebung gerettet; der Kapitän machte sich aus dem Staub.

Schon im vergangenen Herbst war die türkische Hafenstadt im Zusammenhang mit Menschenschmuggel genannt worden. Ein in Mersin Richtung Italien gestartetes Schiff mit 216 Syrern und 19 Irakern an Bord wurde von der Besatzung verlassen und geriet in Seenot, bevor es von der Küstenwache des türkischen Teils von Nordzypern in einen Hafen geschleppt werden konnte. Alle Flüchtlinge wurden nach Mersin zurückgebracht.

Nach Einschätzung von Frontex machten die Kämpfe in Libyen das Land selbst für die Schlepperbanden zu gefährlich. Die "Geisterschiffe" aus Mersin könnten deshalb also wohl noch weiter für Schlagzeilen sorgen.

(RP)
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