Israel – Wulffs Bewährungsprobe

Christian Wulff ist der erste Bundespräsident ohne Weltkriegserfahrung, der zum Staatsbesuch nach Israel reist. Mit ihm unterwegs: seine 17-jährige Tochter Annalena. In Jerusalem wird Wulff nach der deutschen Islam-Debatte mit einer gewissen kritischen Distanz erwartet.

Am Ende kann Annalena Wulff ihre Gefühle nicht kontrollieren. Nach einer knapp einstündigen Führung durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, das weltweit größte Dokumentationsarchiv der NS-Verbrechen, ist die 17-Jährige mit ihrem Vater Christian Wulff in einem kleinen, finsteren Raum angekommen. Kerzen schimmern hinter Glas. Aus Lautsprechern ertönen Namen einiger der 1,5 Millionen von den Nazis ermordeten Kinder – eine gespenstische, intensive Atmosphäre. Als die junge Frau wieder in die grelle Herbstsonne tritt, sind ihre Augen rot unterlaufen. Annalena begleitet zum ersten Mal offiziell ihren Vater, den Bundespräsidenten.

Christian Wulff hat dafür den wohl sensibelsten Ort ausgesucht, den ein deutscher Politiker besuchen kann. Es ist ein wuchtiges Zeichen, das der neue Präsident setzt. Die Erinnerungen an den Holocaust, die deutsche Verantwortung müssten "über die Generationen fortgeschrieben" werden, erklärt Wulff die ungewöhnliche Teilnahme seiner Tochter. Es ist die erste Reise, die Wulff nicht von seinem im Mai überraschend zurückgetretenen Vorgänger Horst Köhler übernommen hat – so gesehen seine Premiere als oberster Repräsentant der Deutschen im Ausland

Es ist auch seine bislang größte Bewährungsprobe. In Israel wird Wulff mit einer gewissen kritischen Distanz erwartet. Nicht nur, weil der 51-Jährige das erste deutsche Staatsoberhaupt ist, das den Weltkrieg nicht selbst erlebt hat. Der israelischen Öffentlichkeit ist nicht verborgen geblieben, dass es Wulff war, der als Ministerpräsident eine Muslima zur Ministerin machte, den Islam als Teil Deutschlands bezeichnete und auf einer Türkei-Reise die muslimische Welt umarmte.

Nach dem tödlichen israelischen Militäreinsatz gegen ein auch mit Türken besetztes Hilfsschiff vor der Küste des Gaza-Streifens im Mai sind die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel erkaltet. Würde Wulff gar Forderungen nach einem Ende der besonderen Beziehungen Deutschlands zu Israel nachgeben? So fragten israelische Journalisten besorgt. "Wer so etwas fordert, fordert Unmögliches", entgegnet Wulff unmissverständlich. Im Gegenteil liege ihm an "der Vertiefung der Beziehung", sagt der Präsident und unterfüttert dies mit reichlich Symbolik. Als weltweit erster Staatsgast legt er einen Kranz am Grab von Theodor Herzl, der Führungsfigur des modernen politischen Zionismus, nieder. Später ehrt er Janusz Korczak, den nichtjüdischen Leiter eines Waisenhauses, der mit jüdischen Kindern freiwillig ins Warschauer Ghetto ging, und gedenkt mit einer Rose im steinernen Holocaust-Monument "Tal der Gemeinden" des ausgelöschten jüdischen Lebens in Deutschland.

Dass er seine Tochter mitgebracht hat und acht weitere Jugendliche, die in deutsch-israelischen Programmen engagiert sind, dürfte indes das deutlichste Zeichen einer Kontinuität in den deutsch-israelischen Beziehungen sein. Den Ängsten der "Erlebnisgeneration", die fürchte, dass die Erinnerung an den Holocaust "verblassen" könnte, wolle er mit aller Kraft entgegenwirken, sagt Wulff. Das dazu passende Bild liefert er in Yad Vashem. Der Tradition folgend entfacht der 51-Jährige die "ewige Flamme", die an die Opfer der Shoah erinnert. Neben ihm in der dunklen Halle stehen sein 87-jähriger Amtskollege Schimon Peres und eben Annalena, 70 Jahre jünger als der Friedensnobelpreisträger. "Sehr emotional" sei das gewesen, sagt sie später. Gerade erst hat die Elftklässlerin aus Osnabrück ihre Klausuren im Leistungsfach Geschichte absolviert.

Politische Botschaften will Wulff bei seinem ersten Besuch in Israel nicht senden. Zwar bekennt er sich zur Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten und mahnt ein "konstruktives Engagement" Israels an. Konkreter wird er aber nicht. Auf die Ehre einer Ansprache vor dem israelischen Parlament Knesset, die den Vorgängern Johannes Rau und Horst Köhler sowie Kanzlerin Angela Merkel zuteil wurde, muss Wulff noch warten. Immerhin: Israels Staatspräsident Peres nimmt sich einige Stunden Zeit für Wulff und lobt den Deutschen. "Er ist ein junger Präsident, aber ein alter Freund des jüdischen Volkes", sagt er.

Internet Der Bundespräsident und seine Tochter in Yad Vashem – Fotos unter www.rp-online.de/politik

(Rheinische Post)
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