Inszenierter Volkszorn im Iran

Die spektakuläre Erstürmung der britischen Botschaft in Teheran könnte ein Hinweis darauf sein, wie sehr sich die Führung in Teheran in die Enge getrieben fühlt. Neben dem internationalen Druck wegen des umstrittenen Atomprogramms zermürbt ein interner Machtkampf das Regime.

Teheran/Düsseldorf Einen Tag nach der spektakulären Verwüstung der britischen Botschaft in Teheran schwankten westliche Diplomaten gestern zwischen Empörung und Ratlosigkeit. Hatte die iranische Führung die Aktion nur geduldet oder sogar selbst organisiert? Dass es sich um einen spontanen Ausbruch von Emotionen gehandelt hat, glaubt niemand, am wenigsten wohl die Iraner selbst.

Die Szenen der Zerstörung unter den Augen passiver Sicherheitskräfte waren live im Staatsfernsehen zu verfolgen, und auch der Sprachgebrauch der offiziellen Medien zeigte wenig Distanz zum Treiben der angeblichen Studenten, die sich nach einer Demonstration vor der britischen Botschaft zusammengerottet hatten. Die jungen Männer hätten die diplomatische Vertretung "erobert", jubelte die Nachrichtenagentur Irna. Dabei seien "Spionage-Dokumente beschlagnahmt worden". Das Ganze wirkte wie ein Remake der Erstürmung der amerikanischen Botschaft 1979, nur dass am Ende keine Geiseln genommen wurden. Es dauerte Stunden, bis das iranische Außenministerium die Aktion als "inakzeptabel" verurteilte.

Die widersprüchlichen Signale aus dem Machtapparat deuten darauf hin, dass möglicherweise nur ein Teil der Führung hinter dem Sturm auf die Botschaft stand. Offiziell richtete sich der angebliche Volkszorn gegen die Briten, weil sie vorige Woche gemeinsam mit den USA und Kanada härtere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran beschlossen haben, um das Land vom Weg zur Atombombe abzubringen.

Zwar behauptet das Mullah-Regime stets, die Strafen liefen ins Leere. Tatsächlich haben die Folgen längst das tägliche Leben der Menschen erreicht: Das Import-Export-Geschäft wird allmählich abgewürgt. Immer mehr Fabriken müssen ihre Produktion drosseln und Mitarbeiter entlassen. Nur weil sich Länder wie China oder Indien den Sanktionen bisher nicht angeschlossen haben, ist die Wirtschaft noch nicht kollabiert. Die Iraner bereiten sich aber schon auf harte Zeiten vor, horten Gold und Devisen.

Während der politische und ökonomische Preis für das Streben nach Atomwaffen immer höher wird, sieht sich das Regime in einen verdeckten Krieg mit Israel verwickelt. Die Demonstranten vor der britischen Botschaft hielten Fotos des getöteten iranischen Nuklearwissenschaftlers Madschid Schahriari in die Höhe und beschuldigten in Sprechchören den britischen Geheimdienst MI 6, den Forscher gemeinsam mit dem israelischen Mossad eliminiert zu haben.

In der Tat häufen sich die Indizien für Sabotage-Akte gegen das Atom-Programm. So war es nur einen Tag vor der Erstürmung der britischen Botschaft auf dem Gelände einer Uran-Anreicherungsanlage in Isfahan zu einer Explosion gekommen. Die Behörden bestritten den Vorfall zunächst, um dann widersprüchliche Erklärungen zu liefern. Wenige Wochen zuvor hatte es bereits eine mysteriöse Explosion in einem Raketen-Depot südwestlich von Teheran gegeben, die so heftig war, das sie noch die Fensterscheiben in der 50 Kilometer entfernten Hauptstadt klirren ließ. 17 Personen kamen ums Leben, darunter General Hassan Moghaddam, der Chef der iranischen Raketenforschung.

Während der Druck auf die iranische Führung steigt, tobt in ihren Reihen ein erbitterter Machtkampf. Deshalb könnte der Angriff auf die britische Botschaft auch eine innenpolitische Dimension haben. Das Verhältnis zwischen Präsident Mahmud Ahmadinedschad und dem "geistlichen Führer", Ajatollah Chamenei, gilt als zerrüttet. Chamenei brüskierte den Regierungschef zuletzt mehrfach öffentlich; Dutzende von dessen Vertrauten wurden unter Vorwänden verhaftet. Im Frühsommer orakelte Chamenei gar darüber, das Präsidialsystem abzuschaffen und künftig nur noch mit einem gefügigen Premierminister zu regieren.

Ahmadinedschad weiß, dass er den Machtkampf schon fast verloren hat. Wenn ihm aufgrund der Sanktionen bald auch noch das Geld aus dem Ölgeschäft ausgeht, um soziale Wohltaten zu finanzieren, ist er politisch erledigt. In solch einer Situation mag er die Eskalation bewusst gesucht haben.

Internet Fotos vom Sturm auf die Botschaft: www.rp-online.de/politik

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort