Berlin Innenpolitiker der Union stellen sich gegen Merkel

Berlin · Schon in der Griechenland-Krise gab es viel Unzufriedenheit über die Politik der Kanzlerin. Sie wurde aber selten offen und direkt angegangen. Dies hat sich unter dem Eindruck Tausender Flüchtlinge, die täglich nach Deutschland kommen, verändert.

In der Fraktionssitzung am Dienstagabend gab es nach Teilnehmerangaben einen offenen Dissens über den Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise. Die Innenpolitiker, die auch schon am Vormittag bei Merkel im Kanzleramt zur Beratung waren, trugen ihre Kritik offen vor. Nicht nur die CSU machte deutlich, dass sie den Kurs der Kanzlerin missbilligt. Den Beginn machte der als Innenausschuss-Vorsitzender zurückgetretene Wolfgang Bosbach. Er wies gewohnt pointiert darauf hin, dass es kein Wahlrecht für Flüchtlinge gebe, wo sie Schutz suchten.

Auch Abgeordnete, die bislang nicht durch von der Partei- und Fraktionsführungen abweichende Meinungen aufgefallen sind, meldeten sich kritisch zu Wort. So der Polizeioberrat Clemens Binninger, der forderte, Deutschland müsse die rechtliche Ordnung wiederherstellen. "Ich bin mit dem Auftrag großgeworden, Recht und Gesetz durchzusetzen, auch wenn es schwierig wird", sagte Binninger. Er forderte, dass Deutschland zum Vollzug der Regeln des Dublin-Abkommens zurückkehren müsse, wonach ein Flüchtling in dem Land seinen Asylantrag zu stellen hat, in dem er zuerst europäischen Boden betritt.

Der Streit spitzte sich auf die Frage zu, ob Deutschland rein rechtlich an seiner nationalen Grenze Flüchtlinge zurückweisen darf. Dies lehnte die Kanzlerin ab. Sie verdeutlichte auch, dass sie bei der Begrenzung des Flüchtlingsandrangs keine Versprechen machen wolle, die sie nicht halten könne. Merkel setzt nun auf eine internationale Lösung. Insbesondere von einer verbesserten Flüchtlingspolitik in der Türkei erhofft sie sich, dass sich weniger Menschen nach Deutschland aufmachen.

Trotz der Auseinandersetzung in der Fraktion versicherten etliche Abgeordnete hinterher, dass sie weiterhin loyal zur Kanzlerin stünden. "Wir dürfen doch auch einmal in der Sache diskutieren, ohne dass man dann gleich die Kanzlerin infrage stellt", sa gte Unionsfraktionsvize Thomas Strobl im ZDF.

Widerspruch gegen die Kanzlerin gibt es allerdings nicht nur aus der Unionsfraktion. Bereits in der vergangenen Woche erhielt Merkel einen Brandbrief gegen ihre "Politik der offenen Grenzen", den eher unbekannte Unionspolitiker unterschrieben. Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung sollen ihn mittlerweile 126 CDU-Funktions- oder Mandatsträger unterzeichnet haben. Unwidersprochen bleibt die Kritik gegen Merkel aber auch nicht. Im Gegenteil: So kursiert zugleich auch ein Schreiben von rund 120 Politikern, darunter CDU-Vorstandsmitglieder, die das Motto "Wir schaffen das!" bestärken.

In den Umfragewerten ist die sonst so beliebte Kanzlerin abgesackt. Forsa sah die Union gestern bei 38 Prozent. Die gesunkenen Werte für die Unionsparteien schreiben Meinungsforscher Merkel zu. Das erscheint logisch, da sie bisher auch als Zugpferd für die sehr guten Umfragewerte der Union galt.

(qua)
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