Laredo In Texas macht Trumps Grenzmauer Angst

Laredo · Die Stadt Laredo an der texanisch-mexikanischen Grenze boomt. Ausgerechnet jetzt kommt Donald Trump mit seinen Mauerplänen.

Damals, als der Mann mit der schrägen Frisur bei Pete Saenz im Jeep saß, war er nur ein Besucher von vielen. Es kamen ja ständig prominente Gäste nach Laredo, um sich ein Bild von der Lage an der Grenze zu machen. Dass Donald Trump eines Tages im Weißen Haus einziehen würde, konnte sich auch Saenz nicht so richtig vorstellen, als er den Bauunternehmer an einem glühend heißen Julitag des Jahres 2015 durch staubige Straßen hinunter zum Rio Grande kutschierte. "Was soll ich sagen, er war sympathisch", erinnert sich der Bürgermeister. "Aber bald war ich enttäuscht, weil ich merkte, dass er mir offenbar nicht richtig zugehört hat."

Saenz versuchte Trump zu erklären, dass der Fluss sie nicht trennt, die beiden Städte an seinen Ufern, im Osten Laredo in Texas, im Westen Nuevo Laredo in Mexiko. "Eher ist es doch so, dass uns der Rio Grande verbindet", wiederholt er es fast zwei Jahre später. Um die Worte mit einem optischen Eindruck zu untermauern, fährt er mit dem Reporter im Fahrstuhl auf eine Beobachtungsplattform an der Grenze, die normalerweise gesperrt ist fürs Publikum. Der Blick geht auf eine Auenlandschaft, links und rechts dicht besiedelte Wohnviertel, dazwischen ein träge dahinfließender, nicht sonderlich breiter Fluss, über den nicht weniger als vier Brücken führen. Nach Abschottung sieht es nicht aus am Rio Grande. Ganz im Gegenteil.

Hinter Saenz ragen die Kräne einer Baustelle auf, demnächst wird hier eine riesige Shopping-Mall eingeweiht, spezialisiert auf Edelmarken. Mexikaner, erzählt der Bürgermeister, wüssten nicht nur das breitere Warenangebot amerikanische Kaufhäuser zu schätzen, sondern auch, dass man dort bisweilen dank enormer Rabatte echte Schnäppchen machen könne. Damit die Kunden aus dem Nachbarland nicht mehr nach San Antonio fahren müssen, in die nächste Metropole in Texas, entsteht ein Konsumtempel direkt an der Grenze. "Es läuft gut für uns", sagt der Mayor.

Wenn nur Trump nicht wäre. Der Mann mit der auffälligen Frisur scheint nach wie vor fest entschlossen, eine Mauer an den Fluss zu setzen, und Saenz wird zum Spezialisten für Schadensbegrenzung. Er ist ein Mann leiser Töne und feiner Manieren, mit seinem Oberlippenbärtchen erinnert er ein wenig an David Niven, der als Schauspieler den britischen Gentleman verkörperte. Diplomatisch spricht er davon, dass man Kompromisse anstrebe mit Trump.

Was das konkret bedeutet, erklärt Raymond Garner, der Polizeichef Laredos. Man könnte parallel zum Rio Grande eine Straße bauen, die Uferböschung abholzen, Kameras aufstellen, den Grenzstreifen hell erleuchten, solche Sachen. Auf dem neuen Asphaltband könnten die Polizisten der Border Patrol patrouillieren, um Menschen abzufangen, die ohne Visum aus Mexiko kommen. An einer Stelle, wo der Fluss so flach ist, dass man ihn passieren kann, ohne schwimmen zu müssen, könnte sein Bett ausgebaggert werden. Wenn das alles erst geschehen ist, hofft Garner, reichen vielleicht hier und da ein paar niedrige Zäune, um Trump gnädig zu stimmen. Vielleicht mache die Mauer, dieses monströse Abschottungssymbol, doch noch einen Bogen um Laredo. "Wir wollen zeigen, dass man das Problem auch anders lösen kann", fasst Saenz es zusammen. "Aber natürlich weiß keiner, ob der Präsident nicht irgendwann mit der Faust auf den Tisch haut und sagt, basta, ich will jetzt meine Mauer."

Noch folgenschwerer wäre es, würde Trump die Axt an Nafta anlegen, das Freihandelsabkommen der USA mit Kanada und Mexiko. Mit Inkrafttreten des Vertrags wurden zahlreiche Zölle abgeschafft, viele weitere wurden zeitlich ausgesetzt. Es entstand eine Freihandelszone mit insgesamt 472 Millionen Einwohnern. Das hatte Folgen: Blasita Lopez, die Sprecherin des Rathauses, zieht einen bunten Prospekt aus der Schublade, sie präsentiert Tabellen, Grafiken, Diagramme. Zahlen einer Erfolgsgeschichte. An einem durchschnittlichen Wochentag fahren in Laredo 14.000 Lastwagen über den Rio Grande, in einem Jahr werden Waren im Wert von 200 Milliarden Dollar in beide Richtungen über die Grenze transportiert. Nur über die Häfen von New York und Los Angeles kommen mehr Importe in die USA als über Laredo. Für jede Brückenüberquerung kassiert die Stadt eine Gebühr, was sich pro Jahr auf 60 Millionen Dollar summiert, ein Zehntel ihrer Einnahmen. Kein Wunder, dass sie im Rathaus bereits über eine fünfte Brücke nachdenken, eine Superbrücke mit 16 Fahrspuren.

"Wir sind Nafta auf Rädern", schwärmt Saenz. So sehr die alten Industriestädte im sogenannten Rostgürtel der USA von Wisconsin bis Pennsylvania unter der Automatisierung und der Abwanderung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer leiden mögen, Laredo gehört eindeutig zu den Nafta-Gewinnern. Aus einem verschlafenen Nest am Rande von Texas ist seit 1994, dem Jahr, in dem der Handelsvertrag in Kraft trat, eine wuselige Großstadt mit einer Viertelmillion Einwohnern geworden.

Edgar Parra steuert einen alten Toyota auf der VIP-Spur über die Grenze. Früher, erzählt er, sei er in einem stattlichen Geländewagen nach Nuevo Laredo gefahren, aber seit einem Überfall halte er es mit dem Motto: je unauffälliger, desto besser. Vor sechs Jahren hätten ihn Mitglieder eines Drogenkartells in Nuevo Laredo mit vorgehaltener Waffe gezwungen, seinen Geländewagen herzugeben, nur fünf Straßenkreuzungen vom Grenzübergang entfernt. Seither benutzt er lieber kleinere, schäbigere Autos.

Parra leitet die binationale Abteilung der Stadtverwaltung von Nuevo Laredo, das heißt, er pendelt zwischen Laredo und Nuevo Laredo, um zu vermitteln, wenn es irgendwo hakt. Lässt er die jüngere Geschichte der Zwillingsstädte Revue passieren, beschreibt er eine Achterbahnfahrt. Noch vor zwanzig Jahren war es völlig normal, dass man aus Laredo mal eben zum Lunch oder abends auf einen Tequila nach Mexiko fuhr. Dann schürten die Anschläge des 11. September 2001 auf US-amerikanischer Seite das Misstrauen, die Kontrollen wurden schärfer, mit der Leichtigkeit war es vorbei. Und dann bemächtigten sich brutale Drogenbanden der Stadt Nuevo Laredo, was eine Massenflucht auslöste. Hier die Angst vor Fremden, dort der komplette staatliche Kontrollverlust, "es ist die schlimmste Kombination, die man sich vorstellen kann", sagt Parra.

Inzwischen scheint es auf der Achterbahn wieder nach oben zu gehen. Die Leute wagen sich wieder über die Brücken, um in Mexiko günstige Medikamente zu kaufen oder sich Zahnkronen machen zu lassen, die sind dort vier Mal billiger als in Texas. Und ausgerechnet in dem Moment, in dem die Zwillingsstädte allmählich zurückkehren zu früherer Normalität, platzt Trump mit seinen Mauerbauplänen dazwischen.

Der Herr Präsident verstehe offenbar nicht, dass die Amerikaner genauso auf die Mexikaner angewiesen seien, wie es umgekehrt der Fall sei, schimpft Jorge Vinals. "Das ist gewiss keine Einbahnstraße, wir haben ein bisschen mehr Respekt verdient", sagt der Ökonom, der in der Wirtschaftsabteilung des Rathauses von Nuevo Laredo arbeitet. Wer das Grenzgebiet zwischen beiden Ländern nicht als eine große, einheitliche Region begreife, der schaffe auf beiden Seiten nichts als Verlierer. Zum Glück, schiebt Vinals trotzig hinterher, habe es die Natur so eingerichtet, dass der Mensch seine Augen vorn habe, nicht hinten. "Schauen wir also nach vorn."

(RP)
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