Berlin In schlechter Verfassung

Berlin · Die vielstündige Befragung des scheidenden Verfassungsschutzchefs Heinz Fromm legt nicht nur Dilettantismus und vorsätzliche Täuschung seiner Mitarbeiter an den Tag. Der Untersuchungsausschuss zu den Neonazi-Morden erfährt auch, wie desolat die Sicherheitsbehörden aufgestellt sind.

Heinz Fromm, Deutschlands oberster Verfassungsschützer, macht keine glückliche Figur, als er im NSU-Untersuchungsausschuss von einem Blitzlichtgewitter begrüßt wird. In fünf Tagen wird er 64, seit zwölf Jahren leitet er das Bundesamt für Verfassungsschutz, und am vorgezogenen Ende seiner Amtszeit zieht er eine niederschmetternde Bilanz: Er spricht von einem "schwer wiegenden Ansehensverlust für das Bundesamt" und sagt, die Folgen der Aktenvernichtung seien für "die Funktionsfähigkeit des Amtes leider nicht abzusehen".

Noch am 26. Juni, also vergangene Woche Dienstag, habe ihm ein Referatsleiter auf einen Sprechzettel geschrieben, dass sieben Akten zu V-Leuten aus der Thüringer Neonazi-Szene "im Januar 2011" vernichtet worden seien, also lange vor der Entdeckung, dass die Zwickauer Neonazi-Zelle aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hinter neun Morden an Migranten und einem an einer Polizistin steckt. Das war eine faustdicke Lüge, denn derselbe Mitarbeiter hat die Akten erst am 11. November 2011 zur Vernichtung angewiesen. Da war das Trio gerade enttarnt. Das schnelle Schreddern zu einem brisanten Zeitpunkt beschreiben Abgeordnete nach Akteneinsicht trotzdem nicht als verdächtig, sondern als "Dilettantismus". Nachdem sie einen Tag lang geheime Unterlagen studieren durften, kommen sie zu dem Schluss, dass da "nichts vertuscht" werden sollte.

Für Fromm reichte die Aktenvernichtung dennoch als Rückzugsgrund. Ende Juli tritt er vorzeitig in den Ruhestand. "Respekt" sprechen ihm dafür die Abgeordneten aus dem Regierungs- und Oppositionslager aus. Aber sie wollen von ihm wissen, ob er das auch getan habe, weil da vielleicht "noch mehr" ist? Das verneint er. Für seine Verhältnisse entschieden. Aber das Wort passt nicht zu dem bedauernswerten Auftritt. Wiederholt muss Ausschusschef Sebastian Edathy (SPD) Fromm bitten, lauter zu sprechen.

Schon mit seinem Erklärungsversuch für den "Dilettantismus" sorgt Fromm für neues Erstaunen. Die verhängnisvolle Schredder-Entscheidung seines Mitarbeiters könne mit Fromms Entdeckung zusammenhängen, dass in seiner Behörde Beschaffungsakten grundsätzlich unbegrenzt aufbewahrt wurden. Ein klarer Verstoß gegen die eindeutige Zehn-Jahres-Frist in der gesetzlichen Vorgabe. Doch Fromm ordnet nicht etwa eine groß angelegte Lösch-Aktion an, er empfiehlt lediglich, immer dann auch ans Schreddern zu denken, wenn man auf alte Akten stoße. Statt dem Gesetz zu entsprechen, habe es im Bundesamt lediglich eine "Ziehung 6 aus 49" gegeben, kritisiert Clemens Binninger (CDU).

Aber es kommt noch dicker. Da arbeitete das Bundesamt sechs Jahre mit dem Thüringer Landesamt in der Beobachtung der Neonazi-Szene zusammen, gab den Thüringern auch eigene Erkenntnisse preis – bekam aber von den Kollegen so gut wie nichts. So habe er, sagt Fromm, aus den Medien erfahren, dass ein von den Bundes-Verfassungsschützern beobachteter Neonazi tatsächlich ein V-Mann der Landes-Verfassungsschützer war. Deshalb kann er für die Zukunft nur empfehlen, den Landesämtern die Informations-Lieferung an den Bund gesetzlich vorzuschreiben.

Schlecht informiert ist Fromm – selbst nach zwölf Jahren an der Spitze – immer noch über die Arbeitsweise seiner Mitarbeiter. "Ich hab' das Gewerbe nicht gelernt, ich leite eine Behörde", gibt er zu Protokoll. Eklatantes Versagen muss er im halben Dutzend eingestehen. In der Selbstkritik ist er nicht zimperlich. "Borniert" seien die Verfassungsschützer gewesen, immer nur ihr beengtes Blickfeld zu nutzen, statt einmal ernsthaft dem Gedanken nachzugehen, dass neun Morde an Migranten nicht nur etwas mit organisierter Kriminalität, sondern auch etwas mit Rechtsextremismus zu tun haben könnten. Auch die neuen Herausforderungen des Islam-Terrorismus hätten abgelenkt, und dass der Innenminister gegen Fromms Willen die Rechtsextremismus-Abteilung dichtmachte, habe die Arbeit ebenfalls nicht gestärkt.

Der Ausschuss bleibt spannend, auch nach Fromms Auftritt. FDP-Mann Hartwig Wolff hat in den Geheimakten entdeckt, wie eine junge Frau mit Vorliebe für Katzen und einem guten Kontakt zu ihrer Oma angeworben werden sollte. Zschäpe hat eine Katzenvorliebe und einen guten Oma-Kontakt. Nur ein Zufall? Und CDU-Mann Binninger wittert Verdächtiges hinter seiner Akten-Entdeckung, dass ein Bundes-Verfassungsschützer kurz nach der Kölner Bluttat 2004 dringend einen Landeskollegen sprechen wollte. Und da ist dann noch die seit Langem offene Frage, was ein hessischer Verfassungsschützer am Tatort eines Mordes 2006 in einem Kasseler Internetcafé tat. Es bleibt viel aufzuklären. Nicht mehr für Fromm.

(may-)
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