Fast eine Million Unterschriften gegen Atomkraftwerk In Österreich droht eine Regierungskrise

Wien (rpo). Fast eine Million Österreicher haben das Volksbegehren der rechtspopulistischen FPÖ gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelin unterzeichnet. Nun zeichnet sich in der Koalition in Wien ein Streit über die Aufnahme Tschechiens in die EU ab. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von der Volkspartei (ÖVP) wandte sich am Dienstag erneut gegen eine Blockadepolitik. Jörg Haider vom Koalitionspartner FPÖ schließt ein Nein zu einem Beitritt Tschechiens nicht aus.

Wie die österreichische Nachrichtenagentur APA unter Berufung auf das Innenministerium berichtete, setzten 915.220 Österreicher ihre Unterschrift unter das von den Freiheitlichen (FPÖ) initiierte Volksbegehren, das von Tschechien die Abschaltung des Atomkraftwerkes Temelin für die Aufnahme in die Europäische Union verlangt. Damit unterstützen 15,5 Prozent der Stimmberechtigten die Initiative der FPÖ. Das Parlament muss sich nun mit dem Volksbegehren befassen. Dazu hätten schon 100.000 Unterschriften ausgereicht.

Die Freiheitliche Partei blieb zwar unter ihrem Ziel von einer Million Unterschriften, gelangte aber unter die "Top Ten" der am meisten unterstützten Volksbegehren seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Initiative hat zu erheblichen Spannungen im Verhältnis zu Prag geführt. ÖVP sowie Sozialdemokraten und Grüne lehnten die Unterschriftenkampagne ab. Bundeskanzler Schüssel und der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman verständigten sich noch im November auf eine Reihe von sicherheitstechnischen Nachrüstungen für Temelin.

Schüssel bekräftigte laut APA nach einer Kabinettssitzung seine Ablehnung einer Veto-Politik gegenüber einem tschechischen EU-Beitritt. Er ließ jedoch vorerst offen, ob es zu neuen Verhandlungen mit Prag über Temelin kommen werde. Der Kärntner Landeshauptmann (Ministerpräsident) und frühere FPÖ-Vorsitzende Haider erklärte APA zufolge, seine Partei werde dafür sorgen, dass das Volksbegehren auch umgesetzt werde. Für den Fall, dass die Initiative im Parlament abgelehnt werde, werde die FPÖ in der Regierung ihre Möglichkeiten wahrnehmen und Neuverhandlungen mit Tschechien verlangen, sagte Haider. Und wenn dabei nichts herauskomme, gebe es in der Regierung kein Ja zu einem EU-Beitritt Tschechiens.

Bundespräsident Thomas Klestil rief am Dienstag dazu auf, die Ängste der Menschen vor der Atomkraft ernst zu nehmen. Das Ergebnis des Volksbegehrens sei ein deutlicher Ausdruck dieser Ängste, sagte er laut APA. Klestil bekräftigte aber auch, dass die EU-Erweiterung keinesfalls gefährdet werden dürfe.

Eine Wähleranalyse des SORA-Instituts ergab APA zufolge, dass das Volksbegehren fast zur Hälfte, genau zu 49 Prozent, von FPÖ-Wählern der Nationalratswahl 1999 getragen wurde. Die FPÖ habe damit 36 Prozent ihrer damaligen Wähler mobilisiert. Das Volksbegehren ist also "relativ klar der FPÖ zuordenbar", nur in Ausnahmefällen wie in den ostösterreichischen Grenzregionen sei es überparteilich unterstützt worden, erklärte der SORA-Meinungsforscher Christoph Hofinger Montag im österreichischen Fernsehen.

Das Endergebnis des Anti-Temelin-Volksbegehrens sollten die Österreicher am Montagabend aus erster Hand erfahren. Mittels Direktschaltung war der zuständige Beamte des Innenministeriums in Wien gerade dabei, die Zahlen bekannt zu geben, als es auf den TV-Schirmen plötzlich finster wurde. Die Leitung war unterbrochen. Schuld daran war nach Angaben des Fernsehsenders ORF vom Dienstag ein Passant. Er hatte den Übertragungswagen gestürmt und die Zündung abgeschaltet. Ton- und Bildleitung wurden dadurch sofort gekappt. Über die Motive des "Sabotageaktes" wird jetzt gerätselt. Der Mann, der nach Handgreiflichkeiten mit den ORF-Mitarbeitern angeblich rechtliche Schritte erwägt, muss selbst mit einer Anzeige rechnen.

(RPO Archiv)
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