In Israel stehen die radikalen Kriegsgegner im Abseits

Tel Aviv · Ex-Kampfpilot Yonathan Schapira hält den Gaza-Einsatz für verbrecherisch. Seine Schlussfolgerungen aber sind für viele Israelis ungeheuerlich.

Noch sind es kleine Veranstaltungen von wenigen Hundert Teilnehmern. Doch in israelischen Städten wie Haifa oder Tel Aviv demonstrieren auch Ex-Soldaten und bekannte Künstler gegen den Krieg in Gaza. Es sind Menschen wie der ehemalige Kampfpilot Yonathan Schapira, der keine Kundgebung verpasst. Zu manchen bringt er seine zehn Monate alte Tochter mit.

Vor zwölf Jahren vollzog sein Leben eine dramatische Wende: Israel nahm am 22. Juli 2002 im Gaza-Streifen eine "gezielte Tötung" vor. Durch die Bombe starben außer dem gesuchten Terroristen 15 Menschen, neun davon Kinder. Zwar beruhigte der Luftwaffenchef seine Piloten nach dem Einsatz, sie könnten ruhigen Gewissens schlafen. "Aber das war ein Weckruf", erinnert sich Schapira. Ein Jahr später rief er mit anderen Piloten in einem offenen Brief dazu auf, den Wehrdienst zu verweigern, und wurde suspendiert.

Heute hat er sich weit vom israelischen Konsens entfernt. Den Einsatz in Gaza bezeichnet er als "Kriegsverbrechen", das zudem unnütz sei: "Es ist dumm zu glauben, man könne 1,8 Millionen Menschen einsperren, und dann zu erwarten, dass sie nicht reagieren", sagt Schapira. Jedes Volk habe das Recht auf Selbstverteidigung: "Das müssten wir eigentlich am besten wissen." Schließlich handle die ganze jüdische Geschichte vom Wunsch, sich von Unterdrückung zu befreien. Der Nachkomme von Holocaust-Überlebenden scheut auch riskante Vergleiche nicht: "Wenn die Juden im Warschauer Ghetto Raketen gehabt hätten, hätten sie sie abgeschossen", meint Schapira. Nein, er sei kein Pazifist, wäre heute noch bereit, Terroristen zu töten. Aber er glaubt der Armee nicht, wenn sie sagt, der gesamte Krieg in Gaza diene der Verteidigung. Vielmehr nutze er hauptsächlich Israel als "Kolonialmacht": "Es braucht Radikale auf der anderen Seite, um sie weiter unterdrücken zu können."

Die Alternative, die Schapira vorschlägt, ist für viele jedoch ein Tabu: Eine Zwei-Staaten-Lösung lasse sich nicht umsetzen. "Die einzige Lösung ist, sich völlig zu vermischen. Ein Staat für alle, wo jeder frei ist und die gleichen Rechte hat." Für viele Israelis klingt das jedoch wie ein Aufruf, ihren jüdischen Staat abzuschaffen, wie die Forderung, sich zu einer verfolgten Minderheit inmitten eines feindlichen arabischen Raumes zu machen. Spätestens dann kehren ihm selbst pragmatische Mitbürger den Rücken. Kaum jemand möchte den Versuch wagen, die einzige Demokratie in Nahost, einen florierenden Hightech- und Industriestaat, umzukrempeln, nachdem der "Arabische Frühling" die gesamte Region in Chaos und Armut gestürzt hat.

(RP)
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