Importierte Erreger

Deutschland hat die ersten Fälle einer Infektion mit dem Antibiotika-resistenten "Super-Bakterium", welches das Gen für das tückische Enzym NDM-1 trägt. Das Robert-Koch-Institut warnt vor Panikmache.

Berlin Ein "Super-Bakterium" mit dem Gen NDM-1 sorgt derzeit in Europa für Unruhe. Es soll über Schönheitskliniken aus dem indischen Raum hierzulande eingewandert und resistent gegenüber fast allen Antibiotika sein. Dutzende von Menschen sind bereits infiziert, jetzt gab es in Belgien ein erstes Todesopfer: Ein aus Pakistan stammender Mann, der im Frühsommer von einem Aufenthalt in seiner Heimat zurückgekehrt war.

Experten warnen vor übertriebener Sorge, betonen aber auch, dass multiresistente Keime zu den großen Herausforderungen der modernen Medizin gehören. Ein internationales Forscherteam warnte jetzt im Fachblatt "Lancet" erstmalig vor den neuen Superkeimen. Sie gehören zu den so genannten Enterobakterien, die überwiegend im menschlichen Darm zuhause sind. Ihre Besonderheit: Sie tragen das Gen für ein Enzym, die New-Delhi-Metallo-Betalactamase (NDM-1), in sich. Dieser Stoff ist imstande, viele herkömmliche Antibiotika zur Unwirksamkeit zu verdammen.

Besonders schwer wiegt, dass die Mikroben ihr NDM-1-Gen auf Erbgutabschnitten tragen, die sie auf andere Bakterienstämme übertragen können. Die Bakterie neigt also dazu, ihr genetisches Wissen, wie sie Antibiotika widerstehen kann, anderen Bakterien mitzuteilen, also auch solchen, die viel gefährlicher sind als sie selbst. Und das sei natürlich, wie Mikrobiologe Karthikeyan Kumarasamy (Indien) betont, als "besonders alarmierendes Potenzial" zu bewerten. Laut Kumarasamy sind in England bereits mindestens 37 Menschen mit dem multiresistenten Bakterium infiziert. Sie waren allesamt von Operationen, vorwiegend kosmetischer Natur, in Indien oder Pakistan zurückgekehrt. Mittlerweile existieren Fallberichte aus anderen Ländern wie Australien, Kanada, Schweden, Holland und den USA. Inzwischen gibt es auch vier nachgewiesene Fälle in Deutschland.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin berichtet von "ersten, einzelnen Nachweisen für NDM-1-bildende Bakterien". Es gebe aber, so die Infektionswächter, "noch therapeutische Alternativen". Wie etwa Colistin, das auch noch die Zellwände multiresistenter Stämme knacken könne. Doch diese Einschätzung scheint zumindest trügerisch zu sein. Denn bei dem belgischen Todesfall hat sich, wie Denis Pierard vom Brüsseler Universitätsklinikum berichtet, die Infektion "als schrecklich resistent" gegen praktisch alle Antibiotika präsentiert. Selbst eine Behandlung mit Colistin, das sich in einigen NDM-1-Fällen zuvor noch bewährt hätte, sei wirkungslos verpufft.

Dennoch sieht Denis Pierard keinen Grund zur Panik, denn insgesamt seien "Bakterienimporte" aus dem fernen Osten sehr selten. Und das RKI verweist auf sein System "ARS" (Antibiotikaresistenz Surveillance), mit dem man frühzeitig neuartige Resistenzen erfassen könne. Der kanadische Mikrobiologe Johann Pitout fordert alle Menschen, die von einer Operation aus dem indischen Raum zurückkehren, dazu auf, sich "vor einer weiteren Behandlung auf multiresistente Erreger untersuchen zu lassen".

Allerdings sind nicht nur neue, sondern auch bereits bekannte Resistenzen gefährlich. Ihr Gefahrenpotential ist sogar ungleich größer. So sterben in der Europäischen Union jährlich etwa 25 000 Menschen an Keimen, gegen die kein Antibiotikum mehr etwas ausrichten kann. Die meisten dieser Infektionen geschehen durch mangelnde hygienische Verhältnisse und die Arbeitsüberlastung in den Krankenhäusern.

"Wenn heutzutage eine Krankenschwester vier Patienten auf der Intensivstation betreuen muss, hat sie im Notfall keine Zeit, sich die Hände zu desinfizieren", warnt Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Er fordert für jedes Krankenhaus ab 400 Betten einen hauptamtlichen Hygieniker. Dies würde nach seiner Auffassung die Zahl vermeidbarer Infektionen an den Krankenhäusern deutlich senken – und damit auch das Risiko, sich ein Super-Bakterium einzufangen.

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