Wildbad Kreuth Ilse Aigner wagt Aufstand gegen Seehofer

Wildbad Kreuth · Ein kleiner energiepolitischer Aufstand der Oberbayerin gegen den scheinbar allmächtigen Horst Seehofer wurde abgeblasen. Trotzdem bekam die "Kronprinzessin" bei der Tagung in Wildbad Kreuth Unterstützung aus der Partei.

Kein Schnee, kein Frost und auch kein Horst Seehofer. Zum Auftakt der CSU-Landesgruppen-Klausur in Wildbad Kreuth ist alles anders, als Gastgeberin Gerda Hasselfeldt die Glocke zur Eröffnung schwingt. Schuld daran ist eine andere wichtige christsoziale Politikerin: Ilse Aigner. Sie hat es zur Klausur gewagt, Seehofer Paroli zu bieten. Der verschiebt seine Anreise ins Wildbad in die Abendstunden. Dabei hat die CSU zum Start des Jahres und der gemeinsamen Regierung mit CDU und SPD auch ohne Aigner bereits für Schlagzeilen gesorgt.

"Wer betrügt, der fliegt", lautet die bayerische Formel für die Migrationspolitik. Auch mit ihrer Forderung, weitere Ausnahmen vom Mindestlohn seien unausweichlich, hat Landesgruppenchefin Hasselfeldt die Sozialdemokraten herausgefordert. "Das Klima ist optimal", stellt Hasselfeldt fest und strahlt dazu mit der Sonne um die Wette in den weiß-blauen Himmel. Daran kann auch der handfeste Streit innerhalb der Landesregierung nichts ändern. Richtig sei es, dass sich das bayerische Kabinett mit dem Vorschlag Aigners "intensiv auseinandersetzt". Den Streit haben Seehofer und Aigner in den vergangenen Tagen bereits in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Sie hatte sich eine auch in Kreuth im Vorjahr bereits diskutierte Idee zu eigen gemacht, den Strompreis für Verbraucher und Wirtschaft zu deckeln und alle weiteren Ausgaben für die erneuerbaren Energien auf Pump zu finanzieren. Diesen 72-Milliarden-Schulden-Fonds sollten dann die Stromkunden in späteren Jahrzehnten wieder abtragen.

Mit dem glasklaren Nein des Parteivorsitzenden wäre eine solche Initiative nach gewöhnlichem bayerischen Verständnis umgehend beerdigt gewesen. Doch Aigner gab nicht auf, sondern setzte spitz nach: "Es reicht nicht, immer nur Nein zu sagen." Und nicht nachhaltig sei es auch, Arbeitsplätze durch steigende Strompreise zu vernichten.

Auf der Gratwanderung zwischen Seehofer und Aigner entscheidet sich Hasselfeldt zunächst für ein Sowohl-als-auch. Das ist bereits bemerkenswert. Und sie stützt die Parteifreundin sogar. Über Aigners Vorschlag dürfe man "nicht mit einem Federstrich hinweggehen". Andererseits will sie sich ihn auch "nicht vorschnell" zu eigen machen. Darüber wolle die Landesgruppe am folgenden Tag aber gerne diskutieren, und zwar "mit der Ministerin und dem Ministerpräsidenten".

Der kommt — für Kreuther Klausurtraditionen beinahe unerhört — erst nach der abendlichen Andacht vorgefahren. Und er ist fest entschlossen, den Streit als pure Erscheinung ohne Realitätshintergrund darzustellen. Mit der Ilse habe er viel gesprochen, und sie habe auch "sehr überzeugend dargestellt", wie sie ihre Position begründe. Im gründlichen Abwägen der Argumente habe sich das Kabinett dann aber dafür entschieden, was jetzt zunächst als erstes anstehe: das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren und die Grundversorgung sicherstellen. Alles weitere werde man dann im Lichte der Vorschläge betrachten, die Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) bis Ostern vorlegen wolle — ausdrücklich auch die Frage, ob "weitere Konzepte" nötig seien. Damit lässt Seehofer in Sachen Sieg oder Niederlage für Aigner ausdrücklich alles offen — und wandelt sich erneut vom brüllenden bayerischen Löwen zum schnurrenden Schmusekater.

Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter hält Spekulationen über einen beginnenden Aufstand der "Kronprinzessin" Seehofers für verfrüht. Oberreuter sagte, noch sei Seehofer unangreifbar, weil er bei der Bayern-Wahl im September 2013 die historische Mission erfüllt habe, den alten CSU-Mythos annähernd wiederzubeleben. Oberreuter meinte, dass der offen ausgetragene Dissens zwar nicht Vorbote einer "Abenddämmerung" des 64-jährigen Seehofer, aber doch ein Indiz dafür sei, dass er seinen rigiden Führungsstil nicht ungestraft fortführen könne. Außerdem sei Aigner unter den Mitkonkurrenten um die Seehofer-Nachfolge die einzige, die sich offenen Widerspruch leisten könne, ohne "politisch tödliche Verletzungen" davonzutragen. Aigner habe ihr Amt in Berlin aufgegeben, um Seehofer in Bayern zu helfen. Sie habe zudem erheblichen Anteil daran, dass sich die CSU in ihrem wichtigsten Bezirk Oberbayern wieder stabilisieren konnte.

(may-)
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