Moskau "Ich bringe euch alle um!"

Moskau · Ein Selbstmordattentäter sprengt sich im Ankunftsterminal des Moskauer Flughafens Domodedowo in die Luft und reißt Dutzende Menschen mit in den Tod. Angeblich hat es schon vor einer Woche Warnungen vor einem Anschlag im Flughafen gegeben. Doch die Behörden reagierten nicht.

Dichter Rauch, überall flackern kleine Brände. Helfer mit Taschenlampen laufen hektisch zwischen Verletzten herum, an einer Stelle stapeln sich die Toten – Szenen des Horrors vor dem Sushi-Café "Asia". Das Lokal in der Ankunftshalle des Moskauer Flughafens Domodedowo ist ein beliebter Orientierungs- und Treffpunkt für alle, die Besucher aus dem Ausland abholen. Es liegt direkt gegenüber der Schleuse, aus der die internationalen Passagiere kommen, wenn sie die Passkontrolle, die Gepäckausgabe und den Zoll passiert haben. Genau hier soll die Bombe explodiert sein, die ein Selbstmordattentäter gestern um 16.32 Uhr zündete.

Der Sprengsatz hatte eine verheerende Wucht, die mindestens sieben Kilogramm TNT entsprach. "Ich bringe euch alle um!", soll nach Berichten von Augenzeugen ein etwa 30 Jahre alter, "arabisch aussehender" Mann gerufen haben, bevor es eine heftige Explosion gab. Ein weiterer Augenzeuge berichtete, zum Zeitpunkt der Detonation seien Tausende Menschen im Flughafenterminal gewesen. Sie seien aus dem Gebäude geströmt, einige seien blutverschmiert gewesen. "Ein Mann hatte zerrissene Jeans an, zwischen der Leiste und dem Knie war sein Oberschenkel blutüberströmt."

Für eine Attacke auf Moskaus größten und modernsten Flughafen hätte der Ort nicht perfider gewählt werden können als vor dem Café "Asia". Denn während im Abflugbereich Gepäck, Bordkarten und Pässe mehrfach kontrolliert werden und das Sicherheitspersonal alle Passagiere mit groben Worten durch die Nacktscanner scheucht, herrscht in der Ankunftszone Gewusel wie auf einem orientalischen Basar. In diesen Teil des Terminals gelangt man ohne Metalldetektoren und Kontrollen. In diesem unübersichtlichen Gewühl hatte der Attentäter offenbar keine Schwierigkeiten, sich unbehelligt unter die Wartenden zu mischen. Er zündete den Sprengsatz bald nach der Ankunft von zwei Maschinen aus Großbritannien, die für gewöhnlich voll besetzt sind.

Für die russischen Sicherheitsorgane bedeutet der Vorfall eine gewaltige Schlappe. Nach Informationen russischer Medien hat es seit einer Woche Hinweise gegeben, dass ein Anschlag genau dort geplant wurde. Trotzdem wurden die Sicherheitsvorkehrungen nicht verschärft. Einmal mehr ist Moskau in Schockstarre, einmal mehr wird den Bewohnern der Zwölf-Millionen-Metropole bewusst, wie verletzlich sie sind.

Es ist gerade zehn Monate her, dass zwei Selbstmordattentate in der Moskauer Metro die russische Hauptstadt erschütterten. Im März 2010 sprengten sich in der morgendlichen Rushhour zwei "schwarze Witwen" aus dem Nordkaukasus in die Luft. Der erste Sprengsatz detonierte in einem Zug in der Station "Lubjanka" direkt beim Gebäude des Inlandsgeheimdienstes FSB. Die zweite Bombe wurde 40 Minuten später gezündet, als ein weiterer Zug die Station "Park Kultury" erreichte. Beide Selbstmordattentäterinnen kamen aus Dagestan. Die 17-jährige Dschennet Abdurachmanowa handelte aus Rache für den Tod ihres Partners Umalat Magomedow, eines Rebellenführers, der zuvor bei einer Anti-Terror-Aktion der Sicherheitskräfte getötet worden war. Auch die andere Terroristin, eine 28-jährige Lehrerin, war mit einem Aufständischen liiert. Zu den Anschlägen bekannte sich damals Rebellenchef Doku Umarow, der selbst ernannte "Emir des Kaukasus".

Unmittelbar nach den Anschlägen wurden die Sicherheitsmaßnahmen in allen Metrostationen verschärft. Polizeistreifen patrouillierten auf den Bahnsteigen, überprüften die Papiere der Passagiere. Händler, die sich vor den Ausgängen breitgemacht hatten, wurden vertrieben, Kioske geschlossen. Doch schon nach kurzer Zeit kehrte Moskau wieder zum Normalbetrieb zurück – wie so oft in Russland.

Verfolgt man die Spur des Terrors noch weiter zurück, dann führt sie auch zum Flughafen Domodedowo. Denn von hier starteten im August 2004 zwei Passagierflugzeuge, die wenig später fast gleichzeitig in der Luft explodierten. Auch dies war das Werk zweier "schwarzer Witwen". Die Recherchen russischer Medien förderten damals eklatante Sicherheitsmängel bei der Passagierabfertigung zutage. So hatten beide Attentäterinnen ihre Tickets direkt vor dem Abflug in der Flughafenhalle bei illegalen Zwischenhändlern erstanden. Auch gelangten sie ohne Kontrolle an Bord ihrer Flugzeuge.

Internet Aktuelles zum Anschlag unter www.rp-online.de/panorama

(RP)
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