CDU sorgt sich bereits um ihr Profil Horst Seehofer dominiert die Koalitionsgespräche

Berlin · Die CDU sorgt sich bereits um ihr Profil: Wenn es darum geht, Projekte durchzusetzen, kommt sie zwischen CSU und SPD kaum noch vor.

Sechs Wochen nach dem ungeahnt deutlichen Wahlsieg war die Stimmung in der Präsidiumssitzung der CDU gestern deutlich eingetrübt. Es läuft nicht gut für die Gewinner. Mit jedem Tag der Koalitionsverhandlungen schrumpft die Wahrnehmung der Kanzlerin, kommt die CDU zwischen SPD-Mindestlohn und CSU-Maut unter die Räder. "Wir müssen aufpassen, dass da nichts schiefläuft", lautete eine der Wortmeldungen. Und Merkel nickte dazu.

Von den Wahlergebnissen her ist die Rangfolge überdeutlich: CSU-Chef Horst Seehofer müsste sich mit seinen bundesweit 7,4 Prozent hinten anstellen. SPD-Chef Sigmar Gabriel bringt zumindest 25,7 Prozent ins Spiel, und Merkels CDU ohne die bayerische Schwester ist für 34,1 Prozent gut. Doch die derzeitige Wahrnehmung folgt der Körpergröße der "Elefantenrunde" aus den drei Parteichefs: Merkel hat mit 1,65 Metern den neun Zentimeter größeren Gabriel noch gut im Blick, aber zum 1,93-Meter-Mann Seehofer muss sie aufschauen. Da ist nichts mit Augenhöhe. Schon gar nicht, wenn es um das Bauchgefühl für populäre Themen geht.

Aber auf dem Weg zur dritten Kanzlerschaft weiß sie auch, was sie an Seehofer hat. Er war es, der es Gabriel ermöglichte, die Verhandlungen gegen Widerstand zu wagen. Den Mindestlohn wollte sich Seehofer nicht erst am Ende abringen lassen, sondern legte ihn als erstes aufs Tablett. Im Gegenzug sackte er im Sechs-Augen-Gespräch ganz offensichtlich schon mal eine Gegenleistung ein. Jedenfalls hat es Gabriel seitdem vermieden, weiter über das von der CSU in der letzten Wahlperiode erkämpfte Betreuungsgeld zu wettern. Vollmundig unterschieden sich die Ankündigungen im Wahlkampf nur darin, wann es denn wie gründlich abgeschafft würde. Davon ist keine Rede mehr. Da ist Seehofer die Verlässlichkeit in Person.

Bei anderen Themen zeigt er sich jedoch so flexibel, dass seinen Mitstreitern schwindelig wird. Hatten sie sich nicht eben noch im Wahlprogramm "Bayernplan" als CSU eindeutig festgelegt? "Die Pläne anderer Parteien für einen Doppelpass lehnen wir ab" — das hinderte Seehofer nicht daran, gleich zum Auftakt der Gespräche mit der SPD Verhandlungsbereitschaft ausdrücklich auch über einen Doppelpass für hier geborene Kinder von Eltern mit ausländischen Wurzeln zu erklären.

Seehofer tritt mit dem Anspruch auf, jederzeit auch mit juristischen Überzeugungen brechen zu können. Wenn sein Bauch ihm sagt, dass die Deutschen es vor allem in Süddeutschland als ungerecht empfinden, im Ausland auf Autobahnen blechen zu müssen, während die Franzosen, Österreicher und Schweizer hierzulande gratis unterwegs sind, dann will er das ändern. Auch wenn Juristen ihm seit Jahren erklären, dass das nicht geht. Seinen Anspruch, gegen solche Widerstände antreten zu können, schöpft er auch aus dem Erlebnis der wiedergewonnenen absoluten Mehrheit, die er gleich nutzte, um eine "Koalition mit dem Volk" einzugehen.

Da kann Merkel nur schauen, dass sie die Kurve kriegt. Schon versucht ihr Sprecher, ihre Festlegung, mit ihr werde es keine Maut geben, weicher zu interpretieren. Damit sei stets auch der Zusammenhang gemeint gewesen, wonach sie sich immer nur "gegen eine zusätzliche Belastung für inländische Autofahrer" ausgesprochen habe.

Wieder ein Punkt für Seehofer. Betreuungsgeld, Maut, Mindestlohn, Doppelpass werden somit Erfolgs-Chiffren für CSU und SPD. Was bleibt der CDU? Sie müsse negative Veränderungen bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik verhindern, hieß es gestern als Losung im Präsidium. Als Überschrift für Erfolgsbilanzen nach Verhandlungen ist das kaum geeignet.

Im Duo mit Gabriel könnte Seehofer in einer großen Koalition zur Höchstform auflaufen. Die beiden kennen sich schon aus dem schwarz-roten Bündnis 2005 bis 2009 — Seehofer war Verbraucherschutz-, Gabriel Umweltminister. Beider Politikstil steht im Gegensatz zu Merkel: sprunghaft, spontan, deftig formulierend und dem Populismus nicht abgeneigt. Für Seehofer stehen Bayern und die CSU im Mittelpunkt. Gabriels erstes Ziel ist es, seine Partei zusammenzuhalten.

Und Merkel? Sie ist mit den Kompromissen beschäftigt, die Gabriel und Seehofer ihr abringen.

(may-, qua)
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