Posen Hoffnungsträger des liberalen Polen

Posen · Jacek Jaskowiak streitet gegen die nationalistischen Aufwallungen seiner Landsleute. Bei Demonstrationen marschiert er gern vorneweg.

Wer Jacek Jaskowiak reizt, sollte sich auf einen harten Gegenschlag gefasst machen. Der 52-jährige Jurist mit den graumelierten Haaren, Bürgermeister der westpolnischen Stadt Posen, legt nach Feierabend gern Brille und Krawatte ab, steigt in den Boxring und trainiert. Seine Standfestigkeit stellte er zuletzt Ende Oktober unter Beweis, als er sich in einem Benefizkampf von dem Schwergewichtsprofi Przemyslaw Saleta öffentlich verprügeln ließ, den K.o. aber vermied. Fast nebenbei sammelte Jaskowiak umgerechnet 50.000 Euro für schwer hirnkranke Kinder ein.

"Wenn ich helfen kann, dann halte ich das drei Runden lang aus", erklärte Jaskowiak nach dem letzten Gong mit geschwollener Nase. Raue Schale, weicher Kern also? Keine Frage: Jaskowiak beherrscht seine Rollen. Wer dem Stadtpräsidenten, wie sein Amt in Polen heißt, in offizieller Mission begegnet, trifft den tadellos gekleideten Repräsentanten einer boomenden Wirtschaftsmetropole: Krawatte mit Silbernadel, Manschettenknöpfe, polierte Schuhe. In sein Büro am Altmarkt jedoch fährt der Vater zweier erwachsener Söhne und junge Großvater auch bei Schmuddelwetter mit dem Rad.

All das ließe sich womöglich als Politikerpose verbuchen, hätte sich Jaskowiak nicht auch den Ruf eines mutigen Streiters gegen jene nationalistischen Aufwallungen erarbeitet, die seit einem Jahr durch Polen branden. Im Herbst 2015 eroberte die PiS-Partei von Jaroslaw Kaczynski die Macht in Warschau. Sie legte per Eilgesetzgebung das Verfassungsgericht lahm, stellte die staatlichen Medien unter Kontrolle und entfesselte einen Kulturkampf.

Hunderttausende Polen demonstrierten im ersten PiS-Regierungsjahr für Demokratie und Toleranz. Vorneweg marschierte oft Stadtpräsident Jaskowiak von der liberalen Bürgerplattform, der inzwischen einer der wenigen Hoffnungsträger der zerstrittenen Opposition im Land ist. "Die Unterdrückung der Freiheit, der Bürgerrechte und die Nötigung Andersdenkender führen direkt in die Katastrophe", erklärte er im Juni, am 60. Jahrestag des Posener Aufstandes gegen die kommunistische Diktatur. Jaskowiak verbot die Teilnahme eines Militärorchesters und einer Ehrenlegion an den Feierlichkeiten - eine Provokation für die PiS-Klientel.

Im September nahm Jaskowiak demonstrativ am "Marsch der Gleichheit" teil, einer von rechten Randalierern seit Jahren bekämpften Homosexuellen-Parade. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Extremisten schmierten Hassparolen an die Wand seines Privathauses. Rechtsradikale machen in Posen nicht nur gegen Homosexuelle und Flüchtlinge mobil, sondern namentlich auch gegen den Bürgermeister. Hooligans skandierten: "Jaskowiak, du Hurensohn!" Der aber weicht nicht zurück. Im Gegenteil: Er kontert. Immer wieder fordert er öffentlich, unter Anspielung auf PiS-Chef Kaczynski: "Stoppt den Kaczismus!"

Erklären lässt sich der Kampfgeist des Politikers kaum allein mit seiner Sportlernatur. Vor allem sind es die Erfahrungen, die der junge Jaskowiak im kommunistischen und postsozialistischen Polen gesammelt hat, die sein Denken und Handeln bis heute prägen. Als die Mauer fiel, war Jaskowiak 25 Jahre alt und hatte eine entbehrungsreiche Kindheit hinter sich. Die friedliche Revolution war eine allumfassende Befreiung für den gebürtigen Posener. Der gelernte Jurist wechselte in die Wirtschaft, stieg schnell auf und gelangte zu einigem Vermögen.

Wichtiger war ihm aber stets die geistige Befreiung. Jaskowiak war eng mit dem 2004 verstorbenen Liedermacher Jacek Kaczmarski befreundet, dem "polnischen Wolf Biermann". In den 80er Jahren war Kaczmarski mit seinen patriotischen Liedern eine Art Vorsänger der Gewerkschaft Solidarnosc. Es blieb Jaskowiak vorbehalten, den Musiker zum Neuanfang zu überreden. Kaczmarski ließ vom übersteigerten Patriotismus ab und wurde zu einem singenden Philosophen der Freiheit, etwa im Lied "Die Uhr" von 1998, in dem es heißt: "Wer Wahrheit verlangt, lügt gewöhnlich; wer Größe fordert, ist meist klein."

(RP)
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