Washington Hoffen auf Obamas zweite Amtszeit

Washington · Washington rüstet sich für die zweite Inauguration von Barack Obama. Insider sehen ihn in den nächsten vier Jahren offensiver.

Caroline Harvey sitzt im Schneidersitz auf dem harten Hallenfußboden und schreibt Postkarten, unermüdlich, wie im Akkord. "Ihr könnt euch das nicht vorstellen", steht auf einer. "Tausende stehen hier Schlange und tanzen Cha-Cha-Slide, wirklich, das ist nicht gesponnen."

Sobald Caroline fertig ist, steckt sie die Karte in einen der unzähligen Kartons, die vom Fließband rollen, vollgepackt mit Zahnseide, Desinfektionsmitteln und Fusselbürsten, gedacht für die Soldaten, die noch in Afghanistan stationiert sind. Am Ende des Tages werden fast Zehntausend Freiwillige angestanden haben, um für eine kurze Schicht mitpacken zu dürfen. Mittendrin lacht Joe Biden, der Vizepräsident, und stopft Plastiktüten voller Wattebällchen in die Pakete. Aus Lautsprechern dröhnen Hip-Hop-Klänge, die Fergus Falls High School Marching Band spielt Blasmusik, irgendwann gibt ein DJ den Cha-Cha-Takt vor. Karnevalsstimmung in der Armory, einer Kaserne der Washingtoner Nationalgarde.

Hier tanzt die Obama-Koalition, jenes Bündnis von Afroamerikanern und Latinos, Frauen und Studenten, das dem Präsidenten zu seinem zweiten Wahlsieg verhalf. Und selbst Tony Wickham, ein Republikaner aus Idaho, lässt sich so sehr mitreißen, dass er John F. Kennedy zitiert: "Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag lieber, was du für dein Land tun kannst."

Klar, das Päckchenpacken ist gut inszeniert, eine Show. Wer an Soldaten in der Ferne denkt, kann nicht viel falsch machen, ist doch die Armee, anders als die Kriege im Irak und in Afghanistan, die populärste Institution des Landes. Der patriotische Grundton, mit Blick auf die zweite Amtseinführung des Präsidenten hat ihn die Regie überaus sorgfältig gewählt. So eine Inauguration soll kleinlichen Parteienstreit vergessen lassen, zumindest für ein paar beschwingte, vereinende Stunden. Da feiern die Vereinigten Staaten ihre Demokratie, ihre Vielfalt, ihre Wandlungsfähigkeit. Den Zeitgeist. Gefragt sind Metaphern, in denen sich das neue Amerika wiedererkennt.

Richard Blanco, gezeugt auf Kuba, geboren in Spanien, aufgewachsen in Miami, steht für eine solche Metapher. Bei der Zeremonie vorm Kapitol wird er das obligatorische Gedicht verlesen, als erster Latino, als erster Homosexueller und als jüngster Dichter aller Zeiten. Myrlie Evers-Williams, die Witwe des 1963 vom Ku Klux Klan ermordeten schwarzen Bürgerrechtlers Medgar Evers, spricht das feierliche Gebet, die erste Laienpredigerin mit diesem Part. Der Mörder von Evers, Byron De La Beckwith, war erst 30 Jahre nach der Tat zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Symbolik über Symbolik steckt in den drei Bibeln, auf die der Präsident seine linke Hand legt, wenn er den Amtseid leistet. Die erste gehört der Familie Robinson, der Familie Michelle Obamas, deren Urgroßväter auf den Reisplantagen South Carolinas als Sklaven schufteten. Die zweite benutzte Abraham Lincoln, der Sklavenbefreier. Die dritte nahm Martin Luther King, der Prediger der Bürgerrechtsbewegung, mit auf Reisen, weshalb sie ziemlich abgewetzt ist. Die Robinson-Bibel kam bereits am Sonntag zum Einsatz, beim Schwur Obamas im Blauen Zimmer des Weißen Hauses.

Das Zeremoniell war nötig, weil die Verfassung eine Vereidigung am 20. Januar vorschreibt, wobei die Feier vor großem Publikum erst am Montag stattfindet, wenn der 20. Januar auf einen Sonntag fällt. Daher wird Obama tags darauf noch einmal schwören, auf die Bibeln Kings und Lincolns, beide übereinandergelegt. Und damit hat er einen Rekord eingestellt, wenn auch unfreiwillig.

Bis dato gab es nur einen Präsidenten, der viermal vereidigt wurde, Franklin D. Roosevelt, den Staatsmann, der das Land durch Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg führte. Bereits 2009 musste Obama das Ritual wiederholen, denn John Roberts, der als Oberster Richter den Eid abnimmt, hatte sich beim Verlesen der kurzen Zeilen verhaspelt. Jener John Roberts, der die Gesundheitsreform überraschend als verfassungskonform einstufte und damit, als Zünglein an der Waage im Obersten Gerichtshof, das wichtigste Gesetzeswerk des Mannes rettete, den er gleich zu Beginn ungewollt schlecht aussehen ließ. Ironie der Geschichte.

Und das Inhaltliche? Wie wird sich Obama II von Obama I unterscheiden? "Weltpolitisch wird er ein sehr aktiver Präsident sein", prophezeit Madeleine Albright. Die frühere Außenministerin sitzt in der Dachetage des noblen Hay-Adams-Hotels in Washington, eingeladen von der Bertelsmann-Stiftung, und spricht von einem Freihandelsabkommen mit der EU, dem nächsten Thema auf der politischen Agenda. Der wiedergewählte und somit erstarkte Präsident, glaubt Albright, werde viel Kapital einsetzen, um es unter Dach und Fach zu bringen.

Im Auditorium der New America Foundation, einer progressiven politischen Denkfabrik, sitzt Morris Davis, unter George W. Bush Chefkläger in Guantánamo, heute Menschenrechtsaktivist, und fordert die überfällige Schließung des Gefangenenlagers. Im National Press Club erinnert Antonio Villaraigosa, der Bürgermeister der Megacity Los Angeles, an die versprochene Reform des Einwanderungsrechts, die zwölf Millionen illegale Migranten aus der Grauzone holen soll. Der Präsident, gibt er zu verstehen, müsse ihn bald rechtfertigen, den Vertrauensvorschuss, den ihm die wahlentscheidenden Hispanics im November gaben.

Andere stellen die Frage, ob Obama II so resolut bleibt, wie er seit Silvester klingt, resolut bei der Verschärfung des Waffenrechts, resolut im Clinch mit den Republikanern, die er wissen ließ, dass er über die nahende Anhebung des amerikanischen Schuldenlimits nicht zu verhandeln gedenke, denn aufgelaufene Schulden seien nun mal zurückzuzahlen. Obama I war der Brückenbauer, Obama II könnte nach den Worten des Time-Kolumnisten Joe Klein eher ein Bulldozer sein, der "bereit scheint, seine hilflosen Gegner zu überrollen".

Es sind Fragen für den 22. Januar, am 21. zählt die Symbolik, der Blick nach vorn, möglichst weit in die Ferne, in jedem Fall amerikanisch-optimistisch.

(RP)
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