Bundesfinanzminister Hört Wolfgang Schäuble schon im Herbst auf?

Berlin · Wolfgang Schäuble ist im Herbst mit 72 Jahren dienstältester Abgeordneter - und auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Die Frage ist: Will er als König aufhören oder riskieren, 2017 sang- und klanglos auszuscheiden?

Porträt: Bilder aus dem Leben von Wolfgang Schäuble​
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Bilder aus dem Leben von Wolfgang Schäuble

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Foto: dpa/Gregor Fischer

Wir schreiben den 28. November 2014, es ist 13.30 Uhr, als die Schlussabstimmung über den Bundeshaushalt 2015 gelaufen ist, Wolfgang Schäuble als erster Finanzminister gefeiert wird, der wieder einen Etat ohne neue Schulden zustande bekommen hat. Bevor Bundestagspräsident Norbert Lammert die Abgeordneten nach Hause entlässt, sagt er noch einen Satz: "Das Wort zu einer persönlichen Erklärung erhält der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble." Der Saal ist voll, die meisten Abgeordneten erheben sich, denn längst ist durchgesickert, was nun kommt: Schäubles Rücktritt.

Noch ist das nur ein Szenario. Aber es folgt der Einschätzung vom Herbst 2010, als es Schäuble "hundeelend" ging und sich Beobachter einig waren: Ein Schäuble tritt nicht als von Krankheit Gezeichneter und von Problemen Getriebener zurück. Er wird aufhören, wenn er es selbst bestimmen und eine blitzsaubere Bilanz hinterlassen kann. So wie in diesem Herbst.

Kurz zuvor wird Schäuble einen historischen Rekord aufgestellt haben: Er ist am 19. November 2014 exakt 42 Jahre Bundestagsabgeordneter - so lange wie kein anderer in der deutschen Geschichte. Und er hat selbst Geschichte geschrieben, als Mann, der 1990 als Innenminister die Deutsche Einheit aushandelte und der 1994 als begnadeter Rhetoriker Berlin als Hauptstadt durchsetzte. Und nun auch noch als Schuldenabbauheld und als Euroretter. Das wird sich wohl nicht mehr steigern lassen. Wird er also aufhören, wenn der Triumph am größten ist?

Zu oft hat der so ehrgeizige wie talentierte Schäuble andere sein Leben entscheidend mitbestimmen lassen müssen: 1990, als er von einem psychisch Kranken niedergeschossen wurde und seitdem querschnittsgelähmt ist. 1997, als alle seine baldige Wahl zum Bundeskanzler erwarteten und der "Kronprinz" von Helmut Kohl im Vorbeigehen entthront wurde. 2000, als die Spendenaffäre den nunmehrigen Partei- und Fraktionschef zum Rücktritt zwang. 2004, als die FDP Schäuble als Bundespräsident verhinderte.

2014 ist anders. Schäuble wirkt wie das absolute Gegenteil von getrieben, fremdbestimmt oder eingeschränkt. Topfit zeigt er allen, was ein bald 72-Jähriger in einem mörderisch-stressigen Tob-Job mit weltweiten Präsenzverpflichtungen zu leisten vermag. Ob im Kreis der Euro- oder der G-7-Finanzminister: Auf Schäuble hören die Ministerkollegen. Natürlich weiß auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, was Schäuble in dieser Form wert ist.

Bundesminister: Das Kabinett der großen Koalition
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Das Kabinett der großen Koalition

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Foto: RP. DPA

Deshalb war er für sie in diesem Amt immer gesetzt. 2009, als die FDP das Finanzressort beanspruchte, mit dem sie ihr politisches Überleben hätte sichern können. Und 2013 wieder, als nicht wenige SPD-Finanzexperten den Zugriff auf Schäubles Haus zur Bedingung für die große Koalition machen wollten.

Merkel war es auch, die 2010 intensiv mit Schäubles Frau Ingeborg telefonierte, um die Hintergründe für Schäubles Amtsmüdigkeit zu erfahren und den Minister dann von seiner zwei Mal geäußerten Rücktrittsabsicht abbrachte. Damals hatte er ein furchtbares Jahr mit fünf Krankenhausaufenthalten hinter sich. Nach einem Routineeingriff wollte die Wunde einfach nicht verheilen, zwang ihn über zehn Monate immer wieder zu ungeplanten Auszeiten, ließ ihn sogar kollabieren. Das führte ihn zu der Einschätzung, dass er so vielleicht noch irgendeinem Amt aber nicht den eigenen Ansprüchen gewachsen war.

Nichts deutet darauf hin, dass Merkel mit Blick auf die nächsten Wahlen 2017 selbst ans Aufhören denkt. Sie wird dann 63. Schäuble dann 75. Wird sie also einen Nachfolger aufbauen wollen? Insider verneinen das. Es sei ihre Art, so lange wie möglich mit den Vertrauten und Verlässlichen zusammenzuarbeiten und sich erst Gedanken über das Danach zu machen, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Sie könnte zwar auf ihre Allzweckwaffe Thomas de Maizière setzen. Ihrer Neigung widerspräche eine neuerliche Rochade jedoch.

Die Kanzlerin wird Schäuble also eher zu halten versuchen. So kommt es allein auf Schäuble an, ob er jetzt als König abtreten oder es riskieren will, sich im Klein-Klein zu relativieren, mit neuen Wagnissen für den Etat konfrontiert zu werden und dann 2017 eher sang- und klanglos einfach nicht mehr im neuen Kabinett dabei zu sein - neue gesundheitliche Probleme auf dem Weg dorthin nicht ausgeschlossen.

Schäuble-Vertraute verweisen darauf, dass auch er Politik als Droge erlebe und Regierungsmacht süchtig mache. Für sie wäre ein Rücktritt in diesem Herbst eine Überraschung, wenngleich sie einräumen, dass sich Schäuble immer schon mit eigenständigem Denken, selbstreflektierender Analyse und starkem Willen ausgezeichnet habe.

Schauen wir also, was am 28. November passiert.

(may-)
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