Hitlers Sportsfreund

75 Jahre nach Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen ist der Streit über Carl Diem neu entflammt. Anlass ist eine Studie über seine Rolle im Dritten Reich.

Düsseldorf In diesem Jahr fällt die Entscheidung, ob München die Olympischen Winterspiele 2018 nach Deutschland holen kann. Es wäre das zweite Mal in der Geschichte. Und erneut würde die Austragung für Prestige, Aufmerksamkeit in aller Welt und – natürlich – für viel Geld sorgen.

Das war auch beim ersten Mal nicht anders. Sonntag vor 75 Jahren eröffnete der Diktator Adolf Hitler die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen, den Testlauf für die Sommerspiele von Berlin. Ihm zur Seite stand mit stolzgeschwellter Brust der damalige Generalsekretär des Organisationskomitees, Carl Diem. Er hatte entscheidend dazu beigetragen, das Großereignis nach Deutschland zu holen. Diem gilt bis heute als der Erfinder des organisierten Sports in Deutschland. Er prägte den deutschen Sport als führender Funktionär in der Kaiserzeit, der Weimarer Republik, im Naziregime und in der Bundesrepublik. Das beweist seine Wendigkeit im Umgang mit sehr unterschiedlichen Regierungsformen. Genau das aber hat ihn zu einer höchst umstrittenen Figur gemacht. Der Streit unter den Sporthistorikern entzündet sich vor allem an seiner Rolle im Dritten Reich. Und dieser Streit lebt vor dem 75. Jahrestag der Spiele von Garmisch wieder auf.

Während die einen Diem für einen Steigbügelhalter der Nazis, einen Kriegsverherrlicher und Antisemiten halten, kommen seine Anhänger zu dem Schluss: "Er war weder Nationalist noch Rassist oder Antisemit. Es gibt keine Belege für diese Behauptung." So stellt es der Beirat einer neuen, Diem gewidmeten Studie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) dar.

Erstaunlich, dass der Verfasser der vom DOSB in Auftrag gegebenen Studie das ganz anders sieht. Frank Becker, ein Oberhausener Historiker, verweist auf "antijüdische Ressentiments" in den Tagebüchern und Briefen Diems, und er schildert die "Durchhalterede" vom 18. März 1945, an die sich der TV-Journalist Reinhard Appel als Zeitzeuge erinnerte. Darin stimmte Diem Hitlerjungen auf den Krieg ein. "Wunderbar ist der Tod, wenn der edle Krieger für das Vaterland fällt", hat er laut Appels Darstellung nach einem Wort des antiken Dichters Tyrtaios auf dem Berliner Reichssportfeld gerufen. Die jungen Leute sollten "den Opfergang für das Vaterland, auch im Bewusstsein möglicher Unterlegenheit wie einst die Spartaner, nicht scheuen". Appel ist Wortführer der ersten großen Diskussion um Diem in den 90er Jahren.

Das Nationale Olympische Komitee, zu dessen Gründern Diem gehörte, schilderte den Funktionär dagegen stets als unerschütterlichen Kämpfer gegen das NS-Regime. Die Präsidenten Willi Daume und Hans Hansen betonten, dass Diem nie Mitglied der NSDAP gewesen sei und freundschaftliche Beziehungen zu Juden gepflegt habe. Appels Enthüllungen führten dazu, dass die Heldenverehrung für den Erfinder des Sportabzeichens und des olympischen Fackellaufs geradezu dramatisch abnahm. Zahlreiche Städte gaben den nach Diem benannten Sportstätten und Straßen andere Namen. 2007 sogar Köln, das den einstigen Carl-Diem-Weg an der Hochschule in "Am Müngersdorfer Sportplatz" umtaufte. Voreilig, wie der DOSB-Beirat urteilt. Er glaubt aus Beckers Studie nicht nur "unwissenschaftliches Vorgehen" herauslesen zu können, sondern erkennt auch "keine Hinweise auf moralisch verwerfliche Handlungen von Carl Diem im Dritten Reich". Folglich sei die Umbenennung von Sportplätzen und Turnhallen nicht zu empfehlen. So ähnlich hatte der Deutsche Sportbund vor 15 Jahren argumentiert. So ganz wohl war ihm aber nicht. Die "Carl-Diem-Plakette", die 60 Jahre lang an Wissenschaftler verliehen wurde, trägt mittlerweile nur noch den Namen des DOSB, der aus dem Sportbund und dem Nationalen Olympischen Komitee hervorging. Diese Entscheidung, betont der DOSB, habe nichts mit den Erkenntnissen aus der jüngeren Diem-Forschung zu tun.

Der Streit der Wissenschaftler ist damit nicht beigelegt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass unterdessen eines der Beirat-Mitglieder vorsichtig die Seite zu wechseln scheint. Der Potsdamer Professor Hans-Joachim Teichler räumte ein, "dass sich bei Diem der diskrete Antisemitismus der wilheminischen Oberschicht" feststellen lasse. Heute erinnert eine Bronzetafel mit Diems Konterfei am Berliner Olympiastadion an den Mann, der den Nazis Olympia organisierte.

(RP)
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