Hitlers Rheinland-Coup

7. März 1936: Der vertragswidrige Einmarsch der Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland machte den Diktator daheim zum umjubelten Führer. Frankreich blieb konsterniert, England gleichgültig.

Düsseldorf Der britische Hitler-Biograph Ian Kershaw beschreibt die Wirkung, welche der politisch-militärische Rheinland-Coup vor 75 Jahren auf die Psyche des Diktators gehabt hat, so: Der Triumph der Rheinland-Besetzung habe Hitler geprägt. Aus ungefähr dieser Zeit stammten die Veränderungen, die andere an ihm wahrgenommen hätten.

Nach dem 7. März 1936 glaubte Hitler mehr als je zuvor an die eigene Unfehlbarkeit. Er stilisierte sich zum politischen Messias, der die Deutschen von Fesseln und erlittener Schmach befreit. Nichts kennzeichnet diese Hybris besser als Hitlers religiös eingefärbter Satz mit den stark psychopathischen Zügen: "Das ist das Wunder unserer Zeit, dass ihr mich gefunden habt unter so vielen Millionen. Und dass ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück."

Der Rheinländer Joseph Goebbels, Hitlers erster Propagandist, glühender Bewunderer bis zum Ende im Berliner Bunker, notiert in seinem Tagebuch unter dem Datum des 29. März 1936 über den kühnen Streich, die "Rückeroberung" seiner Heimat: "Dann nach Cöln. Die Domstadt unvorstellbar. Ein einziges Fahnen- und Jubelmeer. Zum Gürzenich. Durch tobende Menschenmassen. Das ist das befreite Rheinland." Goebbels schrieb bereits am 28. März 1936: "Fahrt nach Essen. Unvorstellbar! Ganzes Ruhrgebiet auf den Beinen. Krupphalle 120 000 Arbeiter. Tosende Begeisterung."

Am 7. März 1936 schaffte Hitler wieder Fakten, wie er das beispielsweise ein Jahr zuvor bei der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht gegen den Versailler Vertrag von 1919 oder mit immer hemmungsloser betriebener Aufrüstung schon getan hatte. An einem Samstagmorgen rückten drei Bataillone der Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland ein. In Aachen, Trier und Saarbrücken wurden Garnisonen errichtet. Anschließend löste Hitler den Reichstag auf, um, wie die Nazi-Propaganda lautete, "dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, der mit dem heutigen Tage abgeschlossenen Politik der Wiederherstellung der Souveränität seine feierliche Zustimmung zu erteilen". So geschah es am 29. März, drei Wochen nach dem Rheinland-Coup: Die Menschen, so schreibt Historiker Kershaw, seien außer sich vor Freude gewesen. Das beschränkte sich nicht auf Nazi-Anhänger: Der Hasardeur Hitler wurde für seine tollkühne Herausforderung des Westens, seinen Angriff gegen den Versailler Vertrag, den die Siegermächte des Ersten Weltkrieg dem Verlierer Deutschland auferlegt hatten, sowie für die Wiederherstellung der vollen Souveränität über das eigene Staatsgebiet mit einem Diktatoren-Ergebnis von 98,9 Prozent bestätigt. Kershaw: "Die ,Wahl'-Kampagne, die auf das Rheinland-Spektakel folgte, war nichts anderes als ein Triumphzug Hitlers."

Nur wenige Zeitgenossen waren in den Märztagen vor 75 Jahren so hellsichtig, vorauszusehen, wohin Hitlers Eroberungs-Raserei im In- und Ausland, die Massen-Ekstase, der mystische Führerkult um den späteren Massenmörder führen würden: in den größten anzunehmenden Unfall der deutschen Geschichte.

Hitlers Diplomaten im Auswärtigen Amt und viele seiner Militärs hatten ihm von der vertragswidrigen Rheinlandbesetzung abgeraten. Dass Risiko schien zu hoch zu sein, dass die Paktmächte des Vertrages von Locarno (1925) auf die Militarisierung des entmilitarisierten Rheinlandes vom Niederrhein bis zur Pfalz und auf einem 50 Kilometer breiten rechtsrheinischen Streifen mit Sanktionen antworten. Der Aufbau der Wehrmacht hatte gerade erst begonnen. Joachim Fest schreibt in seiner zeitlos großen Hitler-Biographie: Im Ernstfall hätte der Diktator nur eine Handvoll Divisionen gegen die nahezu 200 Divisionen Frankreichs und seiner Verbündeten aufbringen können. Hitler bezeichnete einmal die 48 Stunden nach dem Morgen des 7. März 1936, als seine Truppen, beifallumtost und mit Blumen überschüttet, den Rhein überquerten, als "die aufregendste Zeitspanne seines Lebens". Fest zitiert Hitler: "Wären die Franzosen damals ins Rheinland eingerückt, hätten wir uns mit Schimpf und Schande wieder zurückziehen müssen."

Jedoch, die westlichen Demokratien stoppten Hitler nicht – es war nicht die erste Zurückhaltung gegenüber dem Aggressor, und es sollte – bis zum Überfall auf Polen am 1. September 1939 – leider nicht die letzte Hasenfüßigkeit in Paris und London sein.

Hitler hatte den Einmarsch seiner Soldaten ins entmilitarisierte Rheinland, den deutschen Locarno-Vertragsbruch, mit einem Vertragsbruch Frankreichs begründet. Paris und Moskau hatten einen Beistandspakt geschlossen, den die Nazi-Führung geschickt als kaum verhüllte Drohung gegen Deutschland darstellte. Zudem hatte sich der Diktator den italienisch-äthiopischen Konflikt sowie die daraus resultierenden Zerwürfnisse zwischen Rom, Paris, London zunutze gemacht. Von Rom aus ließ Mussolini Hitler wissen, Italien werde sich keiner Sanktion gegen Berlin anschließen. Entscheidend jedoch begünstigte England das Bubenstück im Rheinland: Die Briten hatten kein Interesse, den Franzosen beizuspringen. Die Erregung in Paris über Hitlers Tat mochte London nicht nachvollziehen. Mit dem Einmarsch ins Rheinland kehrte Deutschland aus englischer Sicht lediglich "in seinen Vorgarten" zurück.

Es blieb bei Protestnoten. Der Völkerbundrat attestierte Berlin Vertragsbrüchigkeit. Das war's. Hitler hatte am 7. März 1936 die zur Gegenwehr unwilligen oder unfähigen Westmächte übertölpelt, überlistet. Der Rheinland-Coup war aus seiner Sicht innen- wie außenpolitisch ein voller Erfolg. Im Westen konnten nun die Grenzen militärisch und das für die Rüstungswirtschaft so wichtige Ruhrgebiet gesichert werden. Bereits 1935, anlässlich der ebenfalls sanktionslos gebliebenen Wiedereinführung der Wehrpflicht, hatte Frankreichs Botschafter in Berlin sorgenvoll geschrieben, Adolf Hitler müsse überzeugt sein, sich alles erlauben und Europa die Gesetze vorschreiben zu können.

(RP)
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