Wiesbaden Hessen schreibt schwarz-grüne Geschichte

Wiesbaden · Der CDU-Haudegen Volker Bouffier, genannt "Buffe", hat etwas für Wiesbaden fast Wundersames geschafft: ein Bündnis mit den Grünen.

Hessen: CDU und Grüne verhandeln über Koalition
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Hessen: CDU und Grüne verhandeln über Koalition

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Am Tag vor Heiligabend geschah etwas nahezu Wundersames in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden: Die erste schwarz-grüne Koalition in einem großen Bundesland wurde endgültig besiegelt. Am 18. Januar, nach der Wiederwahl des Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) und der Bestätigung seiner Ministermannschaft durch den Landtag, wird die neue hessische Landesregierung von CDU und Grünen ihre Arbeit aufnehmen. Oppositionsparteien sind dann SPD, Linke und FDP.

2008 hatte es zwar in dem kleinen Bundesland, dem Stadtstaat Hamburg, einen untauglichen Versuch mit Schwarz-Grün unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gegeben; man ging aber nach zwei Jahren auseinander. Die hessische Koalition soll bis zum Ende der am 18. Januar 2014 beginnenden Legislaturperiode — also bis 2018 — halten; und wer weiß, vielleicht macht bis dahin und darüber hinaus Schwarz-Grün noch Schule in Deutschland. Der verbreitete Eindruck zwischen Kiel und Konstanz lautet mittlerweile: Wenn es in Hessen klappt, wo sich Schwarze und Grüne über zwei Jahrzehnte hinweg politisch und manchmal auch menschlich spinnefeind gewesen sind, dann kann es überall gelingen, sogar nach der Bundestagswahl 2017 auf Bundesebene.

Gleichsam im Schein der vierten Adventskerze setzten gestern die Parteivorsitzenden und künftigen Kabinettskollegen Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen) ihre Unterschriften unter den Bündnisvertrag. Im künftigen Landtag hat Schwarz-Grün eine Mehrheit von 61 Mandaten gegenüber 49 Sitzen, über die die Opposition verfügt.

Bouffier und sein neuer Wirtschafts- und Verkehrsminister Al-Wazir könnten demnach komfortabel regieren. Vorausgesetzt CDU und Grüne, die jetzt gerne untertreibend von einem bloßen Zweckbündnis sprechen, raufen sich so zusammen, wie bei den zurückliegenden drei Wochen oft sehr harten, aber nie destruktiv geführter Koalitionsverhandlungen im Kurort Schlangenbad bei Wiesbaden. CDU und Grüne wollten zueinanderfinden. Treibende Kraft war jemand, dem man das vor Monaten, vor Jahren erst recht, gar nicht zugetraut hätte: der harte Knochen und alte hessische CDU-Haudegen Bouffier, bei den Seinen auch "Buffe" genannt. Wäre der Mann mit der Johnny-Cash-Stimme nicht bereits 62 Jahre alt, sondern zehn Jahre jünger, hieße es jetzt nach Bouffiers Schwarz-Grün-Coup wahrscheinlich: "Aus dem Buffe könnte in der Union noch mehr werden."

Tarek Al-Wazir, dessen grüne Parteifreundin Priska Hinz das Umwelt- und Verbraucherschutzministerium übernehmen soll (die CDU-Kabinettsmitglieder werden erst Mitte Januar bekannt gegeben) ist 20 Jahre jünger als Bouffier. Wenn er seine Sache gut macht und beispielsweise den schwelenden Großkonflikt am Frankfurter Flughafen — hier der Wachstumsmotor mit 80 000 Arbeitsplätzen, dort die zornigen Anrainer, denen der Lärm die Ruhe raubt) — beizulegen versteht, steht dem Grünen noch eine weitere politische Karriere über Hessen hinaus bevor.

Al-Wazir, der noch vor wenigen Jahren aus den stets kampfentschlossenen Reihen der Hessen-CDU wegen jemenitischer Abstammung väterlicherseits allerlei linker und sonstiger Verdächtigungen ausgesetzt war, wurde von dem so schlauen wie jovialen Menschenfänger Volker Bouffier vor Kurzem das Du angeboten. Tarek Al-Wazir nahm an. Bouffiers Vorgänger Roland Koch hatte er 2008 noch den Handschlag verweigert.

Nachdem Al-Wazir seine Unterschrift unter den historischen Koalitionsvertrag gesetzt hatte, sagte er: "Beide Parteien wollen sich auf diesen ungewöhnlichen Weg begeben." Bis zuletzt hatte es vor allem bei Beobachtern der grünen hessischen Verhältnisse und Gemütsverfassung Restzweifel gegeben, ob die Delegiertenversammlung Schwarz-Grün ihren Segen geben würde. Al-Wazir war überrascht, dass das am vergangenen Samstag mit einer Dreiviertel-Mehrheit gelungen ist. Die zeitgleich erfolgte Zustimmung eines CDU-Landesparteitages war dagegen von vorneherein bloße Formsache.

Der Koalitionsvertrag mit der Überschrift "Wohlstand erhalten, Ressourcen schonen" klingt programmatisch nach Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, eben nach "Schwarz-Grün". Der harte Streit wird auch in dieser neuen Allianz kommen, sobald unpopuläre Spareinschnitte im öffentlichen Dienst in Gesetzesform gebracht werden müssen; und sobald die Grünen merken, dass es leicht ist, "Mehr Lärmschutz am Flughafen" zu vereinbaren, sich jedoch die Dinge hart im Raum stoßen, sobald es um die Beschneidung von Interessen des größten hessischen Arbeitgebers geht.

(RP)
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