"Herumdoktern an Schulstruktur macht Eltern verrückt"

Interview Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) über die Pläne der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW

Frau Schavan, was hat Sie in Ihrer Schulzeit am meisten genervt?

Schavan (lacht) Meine Schulzeit ist zu lange her, als dass ich mich an Nerviges erinnern könnte. Aber es kann nicht so schlimm gewesen sein – sonst wäre ich nicht mehrere Jahre Schülersprecherin gewesen.

Wieso sind Sie eigentlich gerade auf diese Schule gegangen?

Schavan Das war ganz einfach: Mir wurde im Bus immer schlecht. Deswegen wollten meine Eltern eine Schule, die zu Fuß erreichbar war.

Dies war damals noch ein Mädchengymnasium. Haben Sie als Schülerin noch die ersten Jungen erlebt?

Schavan Das Jungengymnasium lag nur 300 Meter entfernt – deshalb gab es auch vorher durchaus Verbindungen. Als dann die ersten Jungen zu uns kamen, haben wir sie eher bedauert, weil sie so wenige waren. Aber sie waren Pioniere.

Warum flammen die Schulkämpfe immer wieder auf – in Hamburg, vielleicht auch bald in NRW?

Schavan Die Schule ist immer Spiegel der Gesellschaft. Wenn ich mir aber den Koalitionsvertrag der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ansehe, dann weiß ich: Das gibt Krach, das weckt ungute Erinnerungen an alte Kämpfe. Es wird nichts Neues sichtbar.

Zum Beispiel?

Schavan Keine Reform der Lehrpläne, keine Debatte über Bildungsinhalte. Stattdessen lebt der alte Schulkampf wieder auf. Rot-Grün erweckt den Eindruck, die Schule sei die Beute der Politik. Die Regierung will sich profilieren, indem sie an den Strukturen herumdoktert. Das macht die Eltern verrückt. Wichtig ist, dass der Unterricht, der im Stundenplan steht, auch gegeben wird, und dass Kinder nicht um ihre Chancen gebracht werden.

Rot-Grün sagt, das sei mit längerem gemeinsamem Lernen zu erreichen.

Schavan Damit wird nur eine Ideologie durchgesetzt. Kinder und Jugendliche brauchen Ruhe in der schulischen Entwicklung und nicht dauernd neue Experimente.

Ist es richtig, den Kommunen mehr Verantwortung für die Schulpolitik zu geben, wie es Rot-Grün ankündigt?

Schavan Das klingt zwar gut. Andererseits ist der Bildungsföderalismus schon umstritten genug. Dass jetzt eine weitere Ebene dazukommen soll, ist chaotisch und Ausdruck mangelnder Entschlusskraft der Politik. Man kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen und die Konflikte an die Schulen verlagern.

Aber die Schülerzahlen gehen zurück, viele Schulen müssen schließen.

Schavan Eine strukturelle Anpassung ist sicher notwendig. Dem muss aber eine Debatte über die Inhalte vorausgehen. Die Politik darf nicht die größtmögliche Veränderung in kürzester Zeit zu ihrem obersten Ziel erklären.

Der Philologenverband spricht von einem Angriff auf das Gymnasium.

Schavan Man hat in der Tat das Gefühl, dass das Gymnasium zu Unrecht für fehlende Aufstiegschancen in anderen Schulformen verantwortlich gemacht wird.

Verliert die Politik ihre Entscheidungskraft, weil die Bürger demnächst öfter selbst über Bildung entscheiden wie in Hamburg?

Schavan Die Menschen werden sich jedenfalls immer größere Unterschiede nicht bieten lassen. Sie wollen nicht, dass bald sogar ein Umzug von Neuss nach Grevenbroich unmöglich wird.

Michael Bröcker und Frank Vollmer führten das Gespräch.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort