Helfer verlassen Afghanistan

Die Lage am Hindukusch verschlechtert sich, die Anschläge der Taliban nehmen zu. Deutsche Hilfsorganisationen befolgen zwar strikte Sicherheitsregeln. Aus besonders gefährdeten Regionen ziehen sie sich aber zurück.

Die Mitarbeiter der Welthungerhilfe betreuen in Afghanistan Projekte für eine nachhaltige Landwirtschaft, sie bauen Brunnen und Schulen. Mittlerweile tun sie das nur noch in den Provinzen Faryab Jawzjan und Nangarhar. Aus den nordwestlichen Provinzen Takhar und Kundus hat sich die Hilfsorganisation wegen der schlechten Sicherheitslage zurückgezogen. Auch Caritas International ist im Norden, dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr, nicht mehr tätig. In Kundus ist seit November 2009 nur noch eine einzige deutsche Hilfsorganisation vertreten, alle anderen haben aufgegeben. Viele sind schon lange weg, so wie die Malteser International, die nach Anschlägen 2007 das Land verließen.

Die Gefahr für Zivilisten ist hoch – laut der nicht staatlichen Dachorganisation Anso (Afghanistan NGO Safety Office) nahm die Zahl der Anschläge im Vergleich zum Vorjahr um 51 Prozent zu. 1319 Angriffe durch Aufständische zählte Anso allein für den Monat Juni. Zuletzt hatte es in der vergangenen Woche einen Anschlag auf ein internationales Ärzteteam in der Provinz Badachschan gegeben, bei dem auch die Chemnitzerin Daniela B. (35) ermordet worden war.

Anso veröffentlicht regelmäßig Berichte zur Sicherheitslage am Hindukusch. Seinen Mitgliedern, 308 internationalen Hilfsorganisationen, bietet die Einrichtung einen besonderen Sicherheitsservice: Per SMS, E-Mail oder Funk werden Mitarbeiter vor Gefahren gewarnt. "Das ist ein Bestandteil unseres Sicherheitskonzepts in Afghanistan", sagt Mathias Mogge, Programmvorstand der Welthungerhilfe, die Anso koordiniert. Darüber hinaus gelte es, als Helfer so unauffällig wie möglich zu sein. "Die Mitarbeiter benutzen lokale Fahrzeuge und tragen landestypische Kleidung", sagt Mogge. "Low Profile" nennt sich diese Strategie des Anpassens und Nichtauffallens. Zudem hat jedes Projekt einen eigenen Sicherheitsbeauftragten, regelmäßig gibt es Schulungen, etwa über Verhaltensregeln im Entführungsfall.

Mit 250 nationalen und sechs internationalen Mitarbeitern ist die Welthungerhilfe in Afghanistan organisiert, seit 2007 wurden drei Mitarbeiter bei Anschlägen getötet. Auf Militärschutz will die Hilfsorganisation dennoch nicht setzen: "Damit würden wir uns zum Anschlagsziel machen", meint Mogge.

Dass sich radikale Kräfte ausbreiten, hat auch Marianne Huber beobachtet. Sie arbeitet für Caritas International in Afghanistan. In diesem Jahr sei erstmals darauf verzichtet worden, die Route vom Büro in Kabul zum Einsatzort in der zentralafghanischen Bergregion Hazarajat komplett mit dem Auto zu fahren. Ein Teil der Strecke wurde mit dem Flugzeug absolviert. Der Fall der ermordeten deutschen Ärztin erschüttere sie und ihre Kollegen, berichtet Huber. Von dem Ziel, in einer der ärmsten Regionen des Landes Entwicklungshilfe zu leisten, bringe sie das aber nicht ab, zumal die schiitischen Hasaren des Hochlandes die militanten Kräfte nicht unterstützten. Eine offene Zusammenarbeit mit staatlichen Organisationen oder dem Militär lehnt auch Huber ab. Dass dies das Risiko eines Anschlags vergrößere, sei die übereinstimmende Meinung bei den Hilfsorganisationen.

Eine der wenigen, die diesem Konzept widersprechen, ist Suzana Lipovac, Vorsitzende des Vereins Kinderberg. Als einzige deutsche Hilfsorganisation ist Kinderberg in der Krisenregion Kundus vertreten, betreibt dort 26 Gesundheitsstationen, die Projekte werden vom Auswärtigen Amt mit 18,7 Millionen Euro unterstützt. "Wir arbeiten mit der Bundeswehr zusammen, lassen Kranke dort behandeln, besuchen mit den Truppen zweimal jährlich die Provinzversammlungen, so genannte Dschirgas", erläutert Lipovac. Die Sicherheit garantieren lokale Stammesfürsten, unter ihnen auch gemäßigte Taliban. "Es ist ein Tauschgeschäft", sagt Lipovac. "Gesundheit gegen Sicherheit."

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