Berlin Hausverbot nach Jagdszenen im Bundestag

Berlin · Parlamentspräsident Norbert Lammert gerät dreifach unter Druck: Die Linken monieren den Biermann-Auftritt zum Mauerfall-Gedenken, Besucher verfolgen Gysi im Bundestag, und seine Verwaltung legt einen Maulkorb für Gauck nahe.

So viel öffentliches Interesse hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) selten für Vorgänge im Hohen Haus. Doch was sich jetzt in den Sälen, Fluren und Büros abgespielt hat, ist nicht unbedingt nach seinem Geschmack: Der spektakuläre Auftritt von Ex-DDR-Liedermacher Wolf Biermann findet ein Nachspiel in Präsidium und Ältestenrat; am Rande einer Israel-Veranstaltung der Linken wird deren Fraktionschef Gregor Gysi verfolgt; und obendrein dürfte ein Gutachten von Lammerts Wissenschaftlichem Dienst die Gemüter erregen: Darin werden dem Staatsoberhaupt ausgerechnet nach einigen umstrittenen Äußerungen Grenzen seiner Redefreiheit aufgezeigt.

Gewöhnlich achtet Lammerts eigene Bundestagspolizei peinlich genau darauf, dass sich Besucher der Würde des Hauses entsprechend verhalten. Insofern war es für den Präsidenten absolut "indiskutabel", was Gysi im Bundestag erleben musste: Zwei Besucher aus Kanada und den USA lauerten dem Linken-Frontmann am Montag auf, bedrängten ihn und verfolgten ihn mit einer Kamera bis zur Herrentoilette, wo Gysi versuchte, die Verfolgung mit einem lautem "Raus hier!" zu beenden. Konsequenterweise ließ Lammert ein Verfahren einleiten, um die beiden Männer mit einem Hausverbot zu belegen.

Doch hinter diesem Vorgang steckt ein tiefes Zerwürfnis innerhalb der Linksfraktion. Die beiden israelkritischen Publizisten waren nämlich vom linken Flügel der Fraktion eingeladen worden, gegen die israelische Politik Stimmung zu machen. Gysi hatte die Befürchtung, dass es zur Neuauflage von sommerlichen Schlagzeilen über Antisemitismus bei den Linken kommen würde, und hatte deshalb versucht, die Veranstaltung zu unterbinden. Die Linken-Politikerinnen Inge Höger, Annette Groth und Heike Hänsel setzten sich darüber hinweg. Als die Anti-Israel-Aktivisten dann von dem Handeln Gysis erfuhren, zogen sie zu dessen Büro, wollten ihn wegen eines angeblichen Antisemitismus-Vorwurfs zur Rede stellen - und die Eskalation nahm ihren Lauf.

In einer mehrstündigen internen Fraktionssitzung entschuldigten sich die Abgeordneten gestern bei Gysi. Der nahm an, doch damit scheint die Sache noch nicht ausgestanden. Über einen Ausschluss aus der Fraktion wurde spekuliert; allerdings verlöre die Linke damit ihren Vorsprung vor den Grünen, und Gysi wäre nicht mehr Oppositionsführer. So schwelt der Konflikt weiter.

Das relativiert die Stoßkraft der Linken - auch in ihrem Vorgehen gegen den Biermann-Auftritt beim Mauerfallgedenken im Bundestag. Die Linken wollten nach den vielbeachteten Attacken Biermanns auf sie - er bezeichnete sie als "elender Rest dessen, was zum Glück überwunden ist" - nicht zur Tagesordnung übergehen und hinterfragten Lammerts Recht, Sänger im Parlament auftreten zu lassen. Nach dem Präsidium soll sich damit heute auch der Ältestenrat befassen. Parlamentsexperten bezweifelten aber, dass sich Lammert hier außerhalb seiner Kompetenzen begeben hat, zumal diese im Einzelnen nicht genau definiert seien.

Demgegenüber hat ein laut "Bild"-Zeitung im Bundestag kursierendes Gutachten des parlamentseigenen Wissenschaftlichen Dienstes brisanteres Potenzial: Nach den so lebhaft gefeierten wie entschieden abgelehnten Reden von Bundespräsident Joachim Gauck etwa bei der Münchner Sicherheitskonferenz (Die Bundesrepublik müsse mehr tun für die Sicherheit, von der sie selbst profitiere) kommen die Juristen zu dem Ergebnis, dass Gauck in seinen Äußerungen zumindest auf dem Feld der deutschen Außenpolitik nicht gänzlich frei sei. Er müsse Reden sogar von der Regierung gegenzeichnen lassen.

In Regierungskreisen wurde diese Darstellung bestätigt. So sei Gaucks Eintreten für eine größere Verantwortung Deutschlands in der Welt sowohl mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), dessen Staatssekretär Stephan Steinlein als auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Vorfeld detailliert abgestimmt worden.

(may-)
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